Widerrede zu „Unkreatives Schreiben“

betr.: „Essay und Diskurs“Deutschlandfunk 18. März 2018: „Unkreatives schreiben – Warum jetzt?“, ein Gespräch mit Kenneth Goldsmith

Als junger Mann machte der US-amerikanische Konzeptkünstler Kenneth Goldsmith eine betörende Entdeckung: Textteile lassen sich am Computer mittels copy and paste nicht nur ohne lästiges Abtippen bewegen, sondern auch in ein anderes Dokument verschieben, in welchem sie dann – im passenden Schriftgrad – nahtlos und unaufspürlich aufgehen. Inhalt hat ihn fortan nicht mehr interessiert. Es war dieser magische Effekt, der Goldsmith verzaubert und literarisch seither vollauf befriedigt hat.
Goldsmith ist der Meinung, dass es der übrigen Menschheit genauso gehen müsse, dass eigentlich nichts mehr geschrieben zu werden braucht. Es sei genug Geschriebenes da, es reiche aus, Vorhandenes zu kopieren. Lesen muss man das alles eh nicht, auch seine eigenen „Bücher gelten ohnehin als nahezu unlesbar“ (Deutschlandfunk). Stattdessen solle man sie „teilen, bewegen und manipulieren“. So etwas wie ein „Urheberrecht existiert für ihn im Internet-Zeitalter nicht mehr.“

Natürlich ist der 1961 geborene Kenneth Goldsmith kein digital native, er ist die Steigerung dessen: ein digital troglodyte. Als solcher ist er nicht frei von Selbsterkenntnis – wenn auch, ohne diese in einen Zusammenhang bringen zu können. Er vergleicht seine Philosophie mit dem Kommunismus und verspricht es würde eine große Last von uns genommen, wenn wir ihr folgten.

Dabei arbeitet er mit der Dialektik der freundlich lächelnden Sabotage, die zurzeit eine in der Neuzeit beispiellose Blüte feiert. Kritikern des allgegenwärtigen Starrens auf kleine tragbare Bildschirme entgegnet er: „Wir lesen und schreiben mehr als je zuvor! Wir tun es nur anders! (…) ich (sehe) nichts als Konzentration, wenn ich Menschen an ihren elektronischen Geräten beobachte. (…) Niemals habe ich Menschen konzentrierter und fokussierter gesehen.“ Wie schön für Kenneth Goldsmith, dass er sich als Boykotteur des lesenden Aufnehmens von Inhalten auch keine Welt vorzustellen braucht, in der alles Geschriebene nur noch aus Kurznachrichten besteht, die Fragen stellen wie „Wo bist du gerade?“ und Informationen liefern wie „Das esse ich gerade!“.
Als Argument für seine Wertschätzung der literarischen Bedeutung von Twitter-Botschaften führt er ins Feld, dass es immerhin der amtierende US-Präsident sei, der dieses Medium vor allen anderen nutzt, um sich mitzuteilen (beeilt sich aber anzufügen, dass er inhaltlich selbstverständlich ablehnt „was dieser Typ da macht“). Er klingt wie ein Reiseveranstalter, der sein Produkt mit den Worten anpreist: „Für die Zeit Ihres Urlaubs ist ein Vulkanausbruch angekündigt. Freuen Sie sich: endlich mal wieder ein richtiges Naturereignis!“

Kenneth Goldsmiths Slogan vom „unkreativen Schreiben“ ist ein weiteres semantisches Konstrukt der Reihe „alternative Fakten“, „real existierender Sozialismus“ oder „Bio-Rattengift“.
Vielleicht ist er auch deshalb ein Mann, dem so viele zuhören. Er wurde mit seinen Abschrift-Büchern zum ersten jemals ernannten Hausdichter des „Museum Of Modern Art“. Als Professor für Literatur an der „“ darf er Studierenden vom „Ende des geistigen Eigentums“ künden. Mit einem Seminar, in dem er Zeitverschwendung unterrichtet, tourte Goldsmith erfolgreich durch mehrere Länder. (Wie bei vielen Coachings kann es hier nicht um die Vermittlung von Wissen gegangen sein – Zeitverschwendung ist schließlich eine angeborene Gabe des Modernen Menschen – sondern vielmehr darum, den inneren Schweinehund zu füttern, die lästige Stimme zum Schweigen zu bringen, die ständig Selbst-Optimierung anmahnt.) Sein Essayband „Uncreative Writing“ (2011) wurde auch auf Deutsch verlegt. Zuletzt durfte er sich per Skype auf dem „Kölner Kongress 2018“ verbreiten. Sogar ins Weiße Haus wurde Goldsmith schon gebeten, um einen Schreibworkshop abzuhalten. Leider war es nicht dieser Typ, diesen Kurs bestellt hat, sondern Michelle Obama.

Dieser Beitrag wurde unter Gesellschaft, Internet, Medienphilosophie abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert