Theatermedizin

Als Darsteller auf der Bühne zu arbeiten, ist kein Beruf wie jeder andere. Es gibt ein paar gesundheitliche Besonderheiten, die offensichtlich jede/n von ihnen treffen. Ich rede nicht vom allseits populären Lampenfieber – denn das fehlt einigen völlig, während andere davon lebenslang und mit steigender Heftigkeit heimgesucht werden – und auch nicht von der unter Schauspielern früher weitverbreiteten Sauferei. Ich rede von diesem seltsamen Traum: man findet sich plötzlich in einer laufenden Vorstellung wieder und hat keine Ahnung, worum es gerade geht. Man hat nicht etwa einen Texthänger oder sein Requisit vergessen, man ist vollständig ratlos und fürchtet sich vor dem unmittelbar bevorstehenden Moment, an dem man etwas sagen muss. (In einigen Varianten ist man außerdem nackt, aber auch bekleidet ist es schlimm genug.)
Andererseits wirkt der Beruf medizinische Wunder, die die sprichwörtlichen Bretter als wahrhaft heiligen Ort ausweisen: für die Dauer der Aufführung, verschwinden Alters- und Krankheitssymptome. Zipperlein, Erkältung, Kopfschmerzen etc. pausieren. Voraussetzung für den Genuss dieses Phänomens ist es, es auf eine Bühne zu schaffen, vor der ein leibhaftig anwesendes Publikum auf diesen Auftritt wartet.
Obwohl ich jahrelang häufiger erkältet als beschwerdefrei war, musste ich nur einziges Mal einen Auftritt aus Krankheitsgründen absagen. Die Rückenschmerzen, die ich bei der Herumsteherei auf Proben verspüre (den nicht umsonst so genannten Stellproben), treten vor Publikum nicht auf.
Eine Kollegin erzählte mir von dem hinfälligen Eindruck, den die große Tilla Durieux im Stadtbild auf sie gemacht habe – im Vergleich zu ihrer unverändert straffen Bühnenpräsenz.

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Eine Antwort zu Theatermedizin

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