Die fidele Klapsmühle

betr.: Jens Wawrczeck hat aus Alfred Hitchcocks „Spellbound“ ein Hörbuch gemacht: „Das Haus von Dr. Edwardes“ (Edition Audoba). Es erscheint am 28. Mai.

Blake Snyder, Autor eines der „ultimativen“ Handbücher über das Drehbuchschreiben, spricht von zehn Filmgenres, in die sich alles einsortieren lässt, was das Kino hervorgebracht hat. Die Genres heißen nicht „Western“, „Krimi“ und „Schnulze“ sondern etwa „Das Monster im Haus“, „Der Geist in der Flasche“ oder „Der triumphierende Narr“. Alfred Hitchcocks bevorzugte Variante war unzweifelhaft „Kerl mit Problem“, und das Problem war zumeist, fälschlich verdächtigt und von der Polizei bzw. von Agenten gejagt zu werden.

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Eine für ihn eigentlich maßgeschneiderte Rubrik hat Hitchcock nur selten bedient, z.B. mit „Lifeboat“ und im Finale von „The Birds“*: „Eingeliefert“. Sie umfasst auch den Typus des Irrenhausfilms. Doch obwohl wir bei Hitchcock seit „Shadow Of A Doubt“ stets auf das plötzliche Auftauchen eines Psychopathen gefasst sein müssen, gibt es keinen einzigen echten Irrenhausfilm von ihm. (In „Psycho“ wird der Lebensraum Nervenheilanstalt kurz und eindrucksvoll beschrieben, dann wird rasch das Thema gewechselt.) Das titelgebende „House Of Dr. Edwardes“ ist zwar eine solche Einrichtung, doch sie erscheint in der Filmversion „Spellbound“ weniger als ein Hort des Wahnsinns. Sie gibt den Schauplatz für eine Romanze ab.

Es ist überliefert, dass sich der Regisseur zunächst tatsächlich einen ganz anderen Film vorgestellt hat – und als Zuhörer dieser Lesung bewegen Sie sich schon ein gutes Stück in diese Richtung: mit der Anstalt als wichtigstem Schauplatz, einer Kombination aus Farbe (die Sicht der Verrückten) und Schwarzweiß (die der Normalen) und einem seinerseits derangierten Direktor, der als Hohepriester Schwarzer Messen tätig ist und sich das Kreuz Jesu hat auf die Fußsohlen tätowieren lassen, um es unablässig zertreten zu können.
Doch dann geschahen zwei Dinge, die alles veränderten: die erwartbaren Einmischungen seines Produzenten David O. Selznick und Hitchcocks Begegnung mit Ingrid Bergman, deren Präsentation als heilendem, rettenden Engel er nun allen Horror unterordnete.
Der von ihr geliebte Gregory Peck wiederum ist ein „Kerl mit Problem“, und insofern ist „Spellbound“ zwar leider kein Irrenhausfilm, aber doch ein Hitchcock wie er im Buche steht.

Eine Idee hat gewissermaßen aus der ursprünglichen Konzeption von „Spellbound“ überlebt. Als in der vorletzten Szene ein Kopfschuss aus der Perspektive des Selbstmörders gezeigt wird, schneidet Hitchcock im entscheidenden Moment ein paar Technicolor-Felder hinein. Viele Jahre lang kannte ich dieses Detail nur aus der Fachliteratur. Seit einiger Zeit ist das deutsche Fernsehen tatsächlich so nett, die roten Frames mit zu übertragen. Auf der großen Leinwand muss diese blutige Zehntelsekunde nach 100 Minuten in Schwarzweiß ein (Entschuldigung!) irrer Effekt gewesen sein.

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* Siehe dazu Beitrag zum Hörbuch „Die Vögel“

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3 Antworten zu Die fidele Klapsmühle

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