Swiping – Darf man das? (1)

In den wilden Gründerjahren (des Comics) galt das Plagiieren höchstens als Kavaliersdelikt. Auch das „swiping“, das Abzeichnen von anderen Illustratoren und das Umarbeiten von Ideen, war an der Tagesordnung und galt als legitimes Mittel besserer Darstellung. Könner wie Alex Raymond, Hal Foster und Burne Hogarth konnten Abwandlungen oder direkte Kopien ihrer Zeichnungen in fast jedem Heft finden.

J. Fuchs & R. C. Reitberger: „Das große Buch der Comics“

Einen Anblick in ein paar Striche aufzulösen, in denen der Betrachter dann das reale Vorbild wiedererkennt, ist ein ganz wesentlicher Teil des kreativen Prozesses. Dürfen wir also das Swipen als einen Akt der Faulheit betrachten und – je nachdem, wie dreist der Faulpelz vorgeht – sogar als Diebstahl bzw. eine moderne Variante der Kunstfälschung?
Fest steht, dass viele große Comiczeichner eine private Vorlagensammlung pfleg(t)en, z.B. der geniale Wallace Wood, von dem der Grundsatz überliefert ist: „Zeichne niemals etwas, was du auch abpausen kannst!“ Bei vielen amerikanischen Comicproduzenten gibt es einen „swipe room“, in dem schränkeweise Referenzmaterial gehortet wird – existierende Zeichnungen, aber auch Fotos und Modelle.
Nichtsdestptrotz hat sich im Internet (dem Arkadien selbsternannter Hüter der Guten Sitten) längst eine Gemeinde zusammengefunden, die die veröffentlichten Fälle solcher Kopierarbeiten aufspürt und auf speziellen Portalen der Vorlage gegenüberstellt.

SwipingDieser Screenshot untersucht zwei Panels aus dem Band 1 der systematischen Neuauflage von „Clever & Smart“ (Carlsen Verlag). Mehr davon und eine kundige Diskussion zum Thema findet sich unter  https://www.youtube.com/watch?v=wrNDDx-m678.

Nicht jede solche Übernahme ist gleich ein Plagiat. Außerdem steht das Kopieren bei allem, was ein Mensch (bzw. Säugetier) überhaupt erlernen kann, am Anfang aller Bemühungen. Wir beginnen mit der Imitation von Vorbildern, egal ob wir laufen, sprechen oder Zeichnen lernen. Schon die alten Römer wussten: „Repetitio est mater studiorum“ („Nachäffen ist die Mutter der Erkenntnis“).
Das Übernehmen von Vorhandenem ist also notwendig, damit es überhaupt zu einer zivilisatorischen Entwicklung kommen kann. (Anderenfalls müsste jede Generation wieder von vorne anfangen.) Während dies in der Wissenschaft vollkommen unstrittig ist und wichtige Entdeckungen mit Nobelpreisen oder Namenspatenschaften („Röntgenstrahlung“, „Parkinson-Krankheit“, „Bunsenbrenner“ …) gewürdigt werden, hat das Nachmachen in der Kunst einen üblen Beigeschmack.* Schließlich ist Kunst eben keine exakte Wissenschaft. Es geht nicht nur um Gesetzmäßigkeiten, sondern auch um Kreativität. Und die Grenzen sind fließend – Musik etwa folgt klarer definierten Gesetzen als das Schauspiel, auch im Schauspiel gibt es sie, dort wie in der Musik können sie missachtet werden …**

Beim Swiping ist der Grad der Verwerflichkeit sehr unterschiedlich. Das genannte Beispiel aus „Clever und Smart“ hat der Comiczeichner Ralf König mit der achselzuckenden Bemerkung quittiert: „Ich kann auch keinen Autobus zeichnen.“ Andererseits sind in Königs Arbeit unbelebte Dinge (Hintergründe, Gebäude, technische Einrichtungen) menschlichen Aspekten (Mimik, Körperlichkeit, Dialog) klar untergeordnet. Andere Künstler behandeln sie gleichrangig mit ihren Figuren (Hergé), geben ihnen punktuell sogar den Vorzug (Turk) oder interessieren sich ausschließlich für sie und erledigen die Charaktere nur handwerklich mit wie bei einer Werbegrafik (Graton).
Die folgenden Beispiele wollen diese unterschiedlichen Ansätze veranschaulichen und zu einer persönlichen Beurteilung einladen.

Fortsetzung folgt
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* Zum musikalischen Aspekt dieser Überlegung siehe https://blog.montyarnold.com/2014/09/16/sei-schlauer-als-der-klauer/
** Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/?s=der+b%C3%BChnenkunst

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