Wo nie ein Taktstock zuvor gewesen ist – Der Komponist Bernard Herrmann (2)

Fortsetzung vom 29.6.2018

betr.: Hörspielarbeit von Orson Welles (30er Jahre) / „War Of The Worlds“ / „Citizen Kane“

1933 traf Herrmann in den CBS-Studios mit dem jugendlichen Theatergenie Orson Welles zusammen, der ihn zum musikalischen Leiter seiner heute legendären Hörspielproduktionen machte. Der Höhepunkt des „Mercury Theatre On The Air“ ist freilich die skandalöse Übertragung des „Krieg der Welten“*, doch auch die übrigen Welles-Hörspiele sind in den letzten Jahren veröffentlicht und analysiert worden.

Theatre Of Imagination_Welles_Radio Laser_FAuf dieser 6stündigen Audio-Laserdisc kann man auch Bekanntschaft mit dem frühen Bernard Herrmann machen. (The Voyager Company, 1988)

In der wenigen Zeit, die Bernard Herrmann jenseits seiner CBS-Projekte blieb, brachte er seine drei konzertanten Hauptwerke zu Papier.Angeregt durch weihnachtliche Genre-Litographien des New Yorker Druckhauses „Currier And Ives“ entstand 1935 die Ballett-Suite „The Skating Rink“ (Die Eislaufbahn), in der bereits Vor-Echos auf „Citizen Kane“ zu vernehmen sind: motivische „Jingle Bells“-Einsprengsel nach dem Vorbild von Charles Ives. „Moby Dick“ war 1938 der erste Meilenstein auf Herrmanns Weg zu „Amerikas einzigem Musikdramatiker“, wie Miklós Rózsa ihn später genannt hat. Zunächst als Oper geplant, machte der Komponist aus dem berühmten literarischen Stoff auf den Rat seiner späteren Ehefrau und Librettistin Lucille Fletcher hin eine Kantate für Soli, Männerchor und großes Orchester. (Fletcher sollte einige Jahre später das Libretto für Herrmanns Oper schreiben.)  Es entstand eine kongeniale musikalische Nacherzählung der Geschichte des hasserfüllten Käpt’n Ahab, der mit dem weißen Wal und den Naturgewalten ringt. Niemand Geringeres als Sir John Barbirolli dirigierte 1940 die New Yorker Premiere des schlagkräftigen Chorwerks, was ihm einige Aufmerksamkeit einbrachte.

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Die handelsübliche Plattenaufnahme von „Moby Dick“ zerrt leider in den lauteren Passagen, was auch in der CD-Version nicht besser wurde. (Unicorn, 1967)

Schließlich wandte sich Herrmann mit seiner 1940 beendeten einzigen Sinfonie der absoluten Musik zu. Das viersätzige Werk fängt im Wechsel unheilvoller Dies-Irae-Stimmungen und Passagen im heroischen Gestus die Stimmung am Vorabend des US-amerikanischen Kriegseintritts ein. Während er daran arbeitete, lud ihn Orson Welles ein, ihn nach Hollywood zu begleiten. Die Hysterie, die dieser mit dem „Krieg der Welten“ ausgelöst hatte, hatte die Filmwelt aufhorchen lassen.
Welles nahm nicht nur seinen Hauskomponisten mit,  auch die Schauspieler seines „Mercury“-Theater- und Hörspielensembles sollten seinen Debütfilm „Citizen Kane“ mitgestalten – allen voran Joseph Cotten, der auch später in Carol Reeds „Der dritte Mann“ an Welles‘ Seite bleiben sollte.

Über die kühnen Innovationen, die Orson Welles mit diesem Werk der Filmkunst antat, sind zahllose Bücher und Artikel verfasst worden**. Hier sei nur kurz darauf hingewiesen, dass sich diese Qualität auch auf die Filmmusik erstreckte.
Elmer Bernstein erzählt: „Bennie erschien (in Hollywood) auf der Bildfläche, als die mitteleuropäischen Komponisten ihre große Zeit hatten: Korngold und Steiner. Aber selbst Alfred Newman machte eigentlich mitteleuropäische Musik, eine Art Post-Tschaikoswki. Diese Art von Musik passte überhaupt nicht zu Bennies Wesen. Er sollte die Gefühle der Zuschauer nicht mit Melodien manipulieren, sondern mit einem ganz besonderen Sound, einem Zauberklang.“***
Herrmann begründete seinen Gegenentwurf  zur spätromantischen Filmmusik der frühen Tonfilmzeit, indem er seine Partitur nach der Art theatralischer Zwischenmusik in einzelne, in sich abgeschlossene Stücke zerlegte. Auf den verschachtelten Zeitebenen der Handlung arbeitet er mit den unterschiedlichsten Stilen – Can-Can, Polka, Galopp und Ragtime – und legt in der berühmt gewordenen Frühstücksmontage einen stilechten Waldteufel-Walzer vor.*** Herrmann hat „Kane“ wie auch seine übrigen Soundtracks selbst orchestriert, und bei jeder Gelegenheit äußerte er seine Verachtung für jene Filmmusiker, die das nicht taten (also fast alle anderen). Der “New York Times” erzählte er am 25.5.1941: „In orchestrating the picture I avoided, as much as possible, the realistic sound of a large symphony orchestra. (…) Most of the cues were orchestrated for unorthodox instrumental groupings.”

Forts. folgt_________________
* Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2014/12/20/wacht-auf-denn-eure-traeume-sind-schlecht/
** Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2015/12/09/verfolgung-auf-schlittschuhen/
*** 1992 im Gespräch mit Joshuah Waletzky

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