Wo nie ein Taktstock zuvor gewesen ist – Der Komponist Bernard Herrmann (4)

Fortsetzung vom 7.7.2018

James Stewart – der Mischtonmeister von „Citizen Kane“, den wir nicht mit dem gleichnamigen Filmschauspieler verwechseln wollen – beschreibt Bernard Herrmann als einen Filmkomponisten, der in einem wesentlichen Punkt mit seinen Kollegen auf einer Linie lag: er fand Soundtracks eigentlich unter seiner Würde: „Er hat nie richtig nach Hollywood gepasst. Er rieb sich an allem, war kein geselliger Mensch. Filmmusik hielt er für ‚Schund‘ – ausgenommen das, was er schrieb. Er verhielt sich einfach nicht sehr geschickt.“ *
Doch er blieb und setzte sich durch.

1943 arbeitete Orson Welles bereits vornehmlich als Schauspieler. Als er den Rochester in Robert Stevensons Verfilmung von „Jane Eyre“ bekam, versuchte er, den in Hollywood lebenden Igor Strawinsky für die Filmmusik zu gewinnen. Nachdem dieser eine Jagdszene vertont hatte, wurde offensichtlich, dass er Probleme damit hatte, Programmmusik mit der Stoppuhr zu schreiben. Das frühe Scheitern bei diesem Projekt schreckte Strawinsky von der Filmmusik ab, und Welles bat Herrmann, für ihn einzuspringen.
Die düstere Vorlage von Charlotte Brontë entsprach genau dessen Temperament. Da ihn die im englischen Sprachraum unter dem Adjektiv „Gothic“ zusammengefasste Literatur – Poe, Lord Byron, Mary Shelley, E. T. A. Hoffmann oder eben die Schwestern Brontë – schon immer entzückt hatten, wählte er während der Arbeit an „Jane Eyre“ die Vorlage für seine Oper aus: „Wuthering Heights“ (dazu später mehr).
„Jane Eyre“ begründete aber auch Herrmanns lange und fruchtbare Verbindung mit der „20th Century Fox“.

Im folgenden Jahr erhielt er den Auftrag, für „Hangover Square“, ein Werk des Vertragsregisseurs John Brahm, die Musik zu schreiben. In diese Geschichte um einen frauenmordenden Londoner Musiker, der zum Finale im selbstangezündeten Konzertsaal gewissermaßen ein Abschiedskonzert aufführt, wurde Herrmann schon früh involviert. Die Musik spielte in diesem Film eine so große Rolle, dass der Komponist bereits an der Entstehung des Drehbuchs beratend teilnahm, anstatt die Musik einem schon vollendeten Film hinzuzufügen. Das für das erwähnte Finale geschaffene zehnminütige Klavierkonzert „Concerto Macabre“ schaffte es leider niemals ins Repertoire der Konzertsäle – im Gegensatz zu den Arbeiten Korngolds, der seine Soundtracks regelmäßig mit einigem Erfolg zu Konzertmusik umschrieb.
„Hangover Square“ zählt nicht zu Herrmanns bekanntesten Arbeiten, aber es ist ein archetypisches Werk, ganz nach dem Geschmack der SF-Horror-Fantasy-Fangemeinde, die jene Musiker gern für sich vereinnahmt, die sich im phantastischen Film bewährt haben.
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* 1992 im Gespräch mit Joshuah Waletzky

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