Die schönsten Filme, die ich kenne (71): „Caché“

Die häufigste Frage, die  dem österreichischen Regisseur Michael Haneke bei Publikumsbefragungen gestellt wird, ist die nach dem Absender der Videocassetten in „Caché“. Mit diesem Film wurde Haneke schlagartig zu meinem zeitgenössischen Lieblingsregisseur. „Caché“ endet wie er beginnt: mit einem minutenlangen Suchbild, das aber – im Gegensatz zum Anfang – ein Wimmelbild ist. Das von Haneke so geliebte Stilmittel des Rätselspiels kehrt die Spielberg-Methode um, dem Publikum jede Kleinigkeit im Dialog vorzukauen und ihm die gewünschten Emotionen mit glotzäugigen (Kinder-)Gesichtern zu soufflieren, die rechtzeitig groß ins Bild rücken. Jeder Haneke-Film könnte „Caché“ (verborgen, versteckt) heißen. Haneke ist der Gegen-Spielberg.

Der Pariser Starmoderator Georges Laurent bekommt eine Videocassette zugeschickt. Jemand hat den Eingang seines Hauses, in dem er mit seiner Frau Anne und dem 12jährigen Sohn Pierrot lebt, lange aus einer festen Kameraposition aufgenommen. Weitere solcher Cassetten folgen. Einer Lieferung ist die Zeichnung eines Gesichtes beigelegt, das aus dem Mund blutet. Die Laurents wenden sich an die Polizei, doch die will nichts unternehmen, da sie in alledem keine Bedrohung erblickt.
Als auf einem weiteren Video der Gutshof zu sehen ist, auf dem Georges seine Kindheit verbracht hat, kommt ihm ein Verdacht, von dem er Anne jedoch  nichts erzählt. Er besucht seine Mutter, um diese nach Majid zu befragen, einem algerischen  Jungen, der für einige Zeit auf dem Hof gelebt hat. Seine Mutter kann ihm nicht weiterhelfen, doch dann trifft ein Video ein, das den Weg zu einer heruntergekommenen Wohnung in Romainville weist. Georges fährt hin und trifft dort tatsächlich auf Majid. Der streitet ab, etwas mit den Videos zu tun zu haben, doch Georges‘ Verdacht erhärtet sich. Majid hätte nämlich durchaus ein Rachemotiv.
Georges ist diese alte Geschichte so peinlich, dass er Anne über die neueste Entwicklung belügt. Doch auf dem nächsten Video kann sie Georges‘ Begegnung mit Majid sehen.
Dann verschwindet Pierrot …

„Caché“ ist nicht nur inhaltlich vertrackt, auch das Spiel mit der trügerischen Qualität von Bildern wird hier auf die Spitze getrieben. Wir erfahren immer erst mit Verspätung (wenn überhaupt), ob wir gerade eine Video-Aufnahme gesehen haben, eine Traumsequenz oder ob wir der linearen Handlung gefolgt sind.
Je nachdem, wer den Film sieht, bleiben von diesem Drama eher die beiden urplötzlichen blutigen Szenen im Gedächtnis oder diese schmerzlich-banalen Konflikte, vor denen niemand von uns jemals sicher ist. Als empfindlicher Vermeider reiner Splatterfilme habe ich dennoch keine Probleme mit den physisch brutalen Momenten, sondern erwarte mit wohligem Entsetzen den Streit mit dem Radfahrer oder die Dialoge, in denen die Zerrüttung dieser bestens dastehenden Familie offenbar wird (eine Zerrüttung, die durch die geschilderten Ereignisse allenfalls ans Licht kommt). Haneke und seine Schauspieler Daniel Auteuil und Juliette Binoche schaffen es, ihre Figuren niemals zu verraten. Sie sind nicht fehlbarer oder schuldiger als die meisten von uns, und gerade das führt uns so nahe an ihre Nöte heran.

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