Die schönsten Filme, die ich kenne (79): „Funny Bones“

Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Komikern: den einen liegt der Schalk im Blut (bzw. in den Funny Bones), und sie sind witzig, ohne auch nur den Mund aufmachen zu müssen. Die anderen sind auf gutes Material angewiesen, das sie sich erarbeiten und dann mit dem richtigen Timing vortragen müssen.
Der junge Comedian Tommy Fawkes scheint keiner der beiden Gattungen anzugehören – zumal er auch noch im Schatten seines berühmten Vaters, des Vollblut-Komikers George, steht. Als sein Solo in Las Vegas durchfällt, verschwindet er spurlos von der Premiere und reist unter falschem Namen nach Blackpool, wo er die ersten sechs Jahre seines Lebens verbracht hatte und das inzwischen noch heruntergekommener ist als zu den Zeiten von John Osbornes „Entertainer“*. Tommy gibt sich als Konzertveranstalter aus, der die zahllosen Varietékünstler des nordenglischen Seebades – an Sprachwitz ist er ausdrücklich nicht interessiert! – einlädt, ihm für eine Garantiesumme von 50 Pfund ihre Acts vorzuführen. Die besten Nummern will er kaufen und einstudieren, um in der Heimat einen neuen Anfang zu machen. Die Probanden erscheinen zahlreich.
Doch die Nummer, die ihn wirklich begeistert, sieht er abends in der Music-Hall: die pantomimische Darbietung des brillanten aber augenscheinlich minderbemittelten Jack Parker. Er erfährt, dass Jack mit Vater und Onkel in erbärmlichen Verhältnissen lebt. Ihren Act dürfen sie seit 16 Jahren nicht mehr aufführen, seit der unberechenbare, impulsive Jack während der Vorstellung durchdrehte und seinen Bühnenpartner erschlug. (Der Ausgangspunkt des Konfliktes bleibt im Dunkeln.) Danach musste er eine Zeit in der Psychiatrie zubringen, während seine Partner sich seither in der Geisterbahn als Komparsen verdingen.
Als Tommy sich das Repertoire der Truppe vorspielen lässt, erkennt er auf Anhieb die Nummern, mit denen sein Vater einst weltberühmt wurde. Und ihm dämmert, dass nicht die Komiker aus Blackpool die Diebe sind …

In seinem zweiten Film springt Peter Chelsom zwischen persönlichen Erinnerungen und Gemeinplätzen, Feinsinn und schlimmstem Kalauer, Groteske und Familienkomödie, Revuefilm und Kammerspiel hin und her. Er zeigt uns, was den Komiker- wie auch den Komödiantenberuf im Innersten zusammenhält und wechselt unentwegt Tempo, Genre und Tonlage. Die Vielzahl der Schicksale, in denen wir uns zurechtfinden müssen, wird nur von der der Klischees übertroffen: Briten-Klischees, Ami-Klischees, Zirkus-Klischees, die lustige Gangsterbande, der bestrafte Bösewicht, Slapstick im Leichenschauhaus, lustige Dicke und Verrückte, Show-Weisheiten und angeklebte Bärte, sogar der sprichwörtliche geheimnisvolle Chinese wird aufgeboten – als Initiator der blutig verlaufenden Eröffnungsszene.
Die Hollywood-Stars Jerry Lewis und Leslie Caron treten in selbstreferenziellen Rollen auf, und der Film-Neuling Lee Evans (ein bereits erfolgreicher Stand-Up-Comedian) ist in der Rolle des Jack so umwerfend, dass das schwülstige Lob, das seiner Figur gespendet wird, nicht wie ein weiterer Witz klingt. Das übrige Ensemble weist mehr schräge Vögel auf als ein Fellini-Film. Zwischen ihnen fällt das feine Spiel des Hauptdarstellers Oliver Platt kaum auf.
Wie kommt es, dass sich dieses Durcheinander anfühlt wie aus einem Guss?

Die Erklärung dafür verweist auf den latenten Schönheitsfehler dieses Geniestreichs: „Funny Bones“ wirkt wie eine Wiedergutmachung für Peter Chelsoms Erstling, dem qua Sujet und Zutaten identischen „Hear My Song“. Dieser war vier Jahre zuvor um die gleichen nostalgisch-skurrilen Effekte bemüht, dabei aber zu dick, zu rührselig, zu folkloristisch, zu verlogen und noch weitaus unlogischer – und er wurde dafür gefeiert, obwohl er nur gut gemeint war und sich bis zur finalen Massenszene (die jener von „Funny Bones“ auf verstörende Weise gleicht) in eine Art Polterabend hineinsteigerte. Weil Kritik und Publikum all das also bereits (voreilig) beklatscht hatten, bekam „Funny Bones“ nicht den Applaus und Nachruhm, der ihm zusteht.

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* Siehe dazu auch https://blog.montyarnold.com/2015/01/17/der-gestolperte-engel/

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Eine Antwort zu Die schönsten Filme, die ich kenne (79): „Funny Bones“

  1. john sagt:

    demnächst – bitte schön – auf laser disc!

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