Wo nie ein Taktstock zuvor gewesen ist – Der Komponist Bernard Herrmann (21)

Forstsetzung vom 18.11.2018

betr.: Herrmanns Jahre nach und mit den Jüngern von Hitchcock (3)

1969 entstand in den Niederlanden eine krude Sex-Crime-Mystery mit dem verwechslungsträchtigen Titel „Obsessions“, Produzent und Hauptdarsteller war Dieter Geissler. Der Soundtrack war keine Auftragsarbeit, sondern wurde für kleines Geld aus Archivaufnahmen zusammengestellt.
Weiterhin ist in Herrmanns europäischem Spätwerk noch an jene Handvoll selten gezeigter britischer Thriller zu erinnern, die in den späten 60er und frühen 70ern mit kleinem Budget von verschiedenen Regisseuren gedreht wurden und die fast alle sehenswert sind.
Herrmanns seinerzeit als „langweilig“ beschimpfte Musik für das sicke Familiendrama „The Twisted Nerve“ gelangte Jahrzehnte später durch Quentin Tarantinos Wiederverwendung zu Kultstatus*, „The Night Digger“ bietet einen der erinnerungswürdigsten Soundtracks für Mundharmonika, gleich nach „Once Upon A Time In The West“ und „Ruby“.

Unabhängig von ihrer Qualität lässt sich an all diesen Filmen – besonders eindrucksvoll an jenen Brian de Palmas – erkennen, wie wenig die Verehrer Alfred Hitchcocks tatsächlich von ihm gelernt haben bzw. jenseits von optischen Nachbauten übernehmen wollten oder konnten. Es ist bezeichnend, dass schon die ersten erklärten Hitchcock-Jünger, die jungen Filmjournalisten und späteren Filmemacher der „Nouvelle Vague“, sich kaum deutlicher von den Arbeitsmethoden ihres Idols hätten absetzen können. Während dieses seine Projekte im Grunde auf dem Papier inszenierte und sich beim Dreh langweilte, weil der Film in seinem Kopf schon fertig war, drehten die jungen Franzosen mit beweglichen Kameras außerhalb des Ateliers, legten Wert darauf, realistische Bilder einzufangen und gaben der Improvisation großen Raum.
Zwar ist die Nachzeile „im Hitchcock-Stil“ in Kritiken und Programmzeitschriften bis heute oft zu finden, doch abgesehen von Stanley Donen und Mel Brooks, die immerhin sehr solide Parodien zustandebrachten, sind die erklärten Verehrer des „Master Of Suspense“ bereits daran abgerutscht, dass es ihren Arbeiten an Humor fehlt. Und der gehörte bei Hitchcock nun einmal zum Service.

_______________
* Siehe dazu auch https://blog.montyarnold.com/2016/06/29/tarantinos-klingelton/

Dieser Beitrag wurde unter Film, Filmmusik / Soundtrack, Krimi, Medienkunde, Medienphilosophie, Musik, Polemik abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert