Sinatra Unchained

betr.: 103. Geburtstag von Frank Sinatra / Wiederveröffentlichung des Albums „Sings For Only The Lonely“

Ich mag keine Live-Aufnahmen von der Musik, die ich liebe. Gewiss: „Dave Is On The Road Again“ von Manfred Mann’s Earth Band muss genauso klingen wie auf der begnadeten Plattenaufnahme – das Publikum legt einen sphärischen Geräuschteppich und hindert die Band daran, auf eine popelige Abblende hinzuarbeiten. Im Jazz sind solche Mitschnitte schon wegen der Unwiederholbarkeit der Improvisation wichtig, vom Dialog mit dem Publikum ganz zu schweigen. Aber im Wesentlichen schätze ich die Konzentration, mit der bei einer geregelten Plattenaufnahme zu Werke gegangen wird und weiß auch die Klangqualität zu schätzen, die bei Konzerten lange Zeit nicht gewährleistet war.

Am wenigsten Lust habe ich auf die Live-Versionen von Frank Sinatra. Im Studio war er ganz besonders pingelig – besonders, nachdem er Anfang der 60er Jahre sein eigenes Label gegründet hatte. Trat er vor Publikum auf, war er umgekehrt oft nachlässig, betont hemdsärmelig, geradezu geschwätzig, und man muss schon von ganzem Herzen an seiner Kunst desinteressiert sein, um darin einen gewissen Charme oder gar eine besondere Qualität zu entdecken.
Eine Ausnahme ist unbedingt zu nennen: das Album „Sinatra At The Sands“ (1966) präsentiert uns den Meister vor kleinem Publikum und in der Andacht eines Studiokonzerts. Hier entstand seine nachträglich berühmt gewordene Interpretation von „One For My Baby“ (diese Nummer hatte Sinatra unter Studiobedingungen schon 1958 auf „Sings For Only The Lonely“ präsentiert, ein berühmtes Album, das soeben restauriert wieder aufgelegt wurde).
Ich kann mir diese wählerisch-verengte Sicht-(oder besser Hör-)weise auch deshalb erlauben, weil ich nie zu Rock-Konzerten gehe und mich bei Sinatra auch zu dessen Lebzeiten nie aufgerafft habe.

Für Musiker, die auf einer Tournee ein neues Album präsentieren, ist der Vortrag vor dem Publikum oft die erste Gelegenheit, die eigenen frischen Songs in ihrer endgültigen Form wirklich kennenzulernen, denn im Studio wird zumeist schichtweise gearbeitet; Programmiersitzungen wechseln sich dort mit Einspielphasen ab, und vieles wird noch geändert. Für die Fans ihrer Musik mag sich vieles von dieser Atmosphäre auch auf der Live-Aufnahme wiederspiegeln. Reinhard Mey, der seine Alben gern parallel live und als Studioproduktion vorlegt, hat einmal über die Unterschiede gesprochen, die sich mitunter ergeben, wenn er die frühen Aufnahmen seiner Songs später wiederhört.

Solche Aventuren sind im Klassikbetrieb naturgemäß nicht gegeben, und so fanden und finden sich dort viele Vertreter, die meine Vorliebe für die geschützte Arbeit im Atelier teilen. Karajan ging lieber ungeprobt ins Studio als bestens vorbereitet live zu spielen.

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