Die schönsten Filme, die ich kenne (90): „Der talentierte Mr. Ripley“

Dies ist die Geschichte eines Habenichts, der es mit Disziplin und wilder Entschlossenheit schafft, sich aus seinen niederen Verhältnissen emporzutricksen und zu -arbeiten. Dabei gerät er nicht nur in die sprichwörtliche Verwirrung, welches seiner vielen Gesichter nun eigentlich das echte ist, er wird auch von den Gefühlen irritiert, die ihn auf dem Weg nach oben ereilen. Manches, was eigentlich als taktische Lüge gedacht war, erweist sich als zutreffend – und schafft die Notwendigkeit für neue Lügen. Dabei geschieht, was das Publikum von heute als „Entwicklung“ von einer Hauptfigur erwartet, und was angeblich nur in einer Serie und nicht in einem Spielfilm möglich ist. „Der talentierte Mr. Ripley“ beweist das Gegenteil.

Es sind die späten 50er Jahre. Der Millionärssohn Dickie Greenleaf verprasst in einem italienischen Badeort das Vermögen seiner schwerreichen Vaters und lebt mit einer Möchtegernschriftstellerin zusammen, die er überdies mit den Schönheiten des Ortes betrügt. Vater Greenleaf schickt den unauffälligen aber charmanten Nobody Tom Ripley nach Italien, um Dickie zur Rückkehr nach New York und zur Aufnahme eines seriösen Lebens zu überreden. Er ahnt nicht, dass Ripley ihn hinsichtlich seiner Identität und seines Backgrounds belogen hat und auch am Ziel seiner Reise nicht mit offenen Karten spielen wird. Mit seiner linkisch-liebenswürdigen Art gewinnt Tom Vertrauen und Sympathie des Playboys Dickie und dessen Verlobter Marge. Seine Sehnsucht nach dem süßen Leben des Paares, das sich mit einer homoerotischen Begeisterung für Dickie mischt, lässt Tom Intrigen spinnen und ihn – nachdem er Dickie im Affekt erschlagen hat – dessen Identität annehmen. Er versteckt sich in Rom, und als Marge ihn dort zufällig findet, spielt er abwechselnd Tom und Dickie. Den Konsequenzen seines immer dichter und haarsträubender werdenden Lügengeflechts entwindet er sich immer wieder. Und auch im Morden gewinnt er an Routine …

Regisseur Anthony Minghella lässt der Vorlage von Patricia Highsmith einige Aspekte, die in der populären alten Verfilmung mit Alain Delon noch verfälscht worden sind: Ripleys verklemmte Homosexualität etwa oder die Vorgabe der Autorin, dass der Held und Bösewicht am Ende nicht gefasst werden darf. Für die Variationen, die sich dieses Remake nun doch erlaubte, wurde es vom SPIEGEL-Rezensenten und anderen Spielverderbern kritisiert. In der Tat ist Matt Damon weniger Herr der Lage als sein literarisches Vorbild und ebensosehr getrieben wie raffiniert, doch diese Figur ist in ihrer Zerrissenheit so fabelhaft gestaltet, dass wir mit ihr fiebern (obwohl uns die bedauernswerte Gwyneth Paltrow nicht gleichgültig ist). Matt Damon wirkt zu keiner Zeit wie ein Filmstar – ein Vorzug, der ihm in vielen seiner Rollen zugutekommt – und kann dennoch jederzeit neben dem effektvollen Jude Law bestehen.
Knapp 20 Jahre nach seiner Entstehung funkelt „Der talentierte Mr. Ripley“ heller als je zuvor: die Schönheit und der Jazz des sonnigen alten Europa verzaubern uns, und darunter blubbern und dampfen Abgründe, die sich das Kino noch Jahre zuvor nicht zu beleuchten gewagt hätte. Seine leichte Überlänge (auf die er von ursprünglich viereinhalb Stunden heruntergeschnitten worden sein soll) ist diesem Thriller nicht anzumerken.

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