Die Marvels wie sie wirklich waren: The Avengers / Die ruhmreichen Rächer (2)

betr.: „Avengers: Endgame“

Diese Serie mit Artikeln zur Geschichte der Marvel Comics aus dem Silver Age ist eine Übernahme aus dem Fanmagazin „Das sagte Nuff“ (2005-10). Aus aktuellem Anlass stammt die heutige Folge aus eigener Fertigung.

Die ruhmreichen Rächer (The Avengers) (Fortsetzung vom 1.5.2019)

Nuff04S.04.cdrDas von John Buscema in Szene gesetzte und von Daniel Gramsch colorierte Cover in der Nuff-Version. Eine Druckvorlage von solcher Qualität existiert nicht einmal in den USA. Coverboy ist der Androide Vision, der in Deutschland erst im vierten Jahr eingeführt wurde, aber irritierenderweise von Anfang im Logo der „ruhmreichen Rächer“ zu sehen war.

The Avengers – Eine einzige große Party

Dieser Tage geht mit „Avengers: Endgame“ alle Einnahmerekorde brechend das große Marvel-Superheldenepos zuende, das 2008 mit „Iron Man“ begonnen hat. Dieses gewinnträchtige Konzept einer miteinander verzahnten Serienfamilie voller individualistischer Superhelden gab es schon ganz zu Beginn der Marvel-Comics vor bald 60 Jahren. Immer wieder begegneten die Helden einander bei Gastauftritten. „Marvel Team-Up“ nannte sich das, und es war stets ein kleines Fest für die Leser. Doch bereits im ersten Heft der „Avengers“ vom 1. September 1963* wurde der Grundstein einer nicht enden wollenden Party gelegt. Es waren Verlegenheiten, die Stan Lee zu dieser Idee antrieben: Terminprobleme und Planänderungen sowie die Tatsache, dass ein paar vielversprechend gestartete Marvel-Helden gerade keine dauerhafte Serie hatten: Thor, Iron-Man, der Hulk (der soeben nach sechs Heften wieder eingestellt worden war) sowie Ant-Man (nebst seiner Partnerin the Wasp), der eigentlich nur ein einziges kurzes, in sich abgeschlossenes Abenteuer in „Tales To Astonish“ hatte bestehen sollen** und der dann zu großes Potenzial zeigte, um ihn einfach umzublättern. Bereits am Ende der zweiten Avengers-Ausgabe stieg der unleidliche Hulk wieder aus (was im Kino unserer Tage nochmals korrigiert wurde). Dafür kam in #4 ein Marvel-Held des Golden Age zu neuen Ehren und übernahm die Führung der jungen Formation: Captain America**. Er war einst der Topseller von Timely gewesen, des Marvel-Vorgängerverlags. Ausgerechnet der streitbare atlantäische Prinz Namor*** – auch er ein Golden-Age-Charakter – hatte „Cap“, den tiefgefrorenen Veteranen des Zweiten Weltkriegs, versehentlich wiedererweckt.
Wie man sieht, verfügte Stan Lee praktisch von Anfang an über ein pralles Superheldenensemble, das sich parallel zu den regulären Serien in lustvolle Happenings verstricken ließ.

RÄCHER-Leiste

Auch in den folgenden Jahren plagten sich „Die ruhmreichen Rächer“ mit personellen Umbrüchen, die sehr viel häufiger und tiefgreifender waren als etwa die der „X Men“**.  Als Konstanten in diesem beständigen Wandel erwiesen sich Captain America – den bald die Marvel-typischen Selbstzweifel quälten, die Trauer um den Verlust seines jugendlichen Gefährten Bucky sowie die Verwirrung über das plötzliche Überspringen von knapp zwanzig Jahren Weltgeschichte – sowie die Stark-Villa nebst Butler Jarvis als Hauptquartier. Die kommenden und wieder gehenden Mitglieder waren Superhelden-Newcomer, verdiente Helden und Nebendarsteller des Marvel-Kosmos und sogar geläuterte Schurken. Ein weiterer Mythos des Golden Age wurde in Ausgabe 56 wiederbelebt: die erste „menschliche Fackel“ – ein Androide, den wir nicht mit Johnny Storm von den Fantastischen Vier verwechseln wollen. Er wurde zu „Vision“ umgestaltet (siehe Abbildung oben). Endlich erfuhren die deutschen Leser nun, wer der grimmige Kerl in dem roten Logo auf der Titelseite sein mochte.

Mit „The Avengers“ etablierte Stan Lee, der alte Fuchs, noch etwas, was wir heute als obligatorische Tugend ansehen: eine epische Erzählweise. Die Faszination dieser Serie speiste sich zu gleichen Teilen aus der jeweiligen (mitunter mehrteiligen) Episode und aus der langfristigen Entwicklung einer Gruppe, die mich mit ihren Versammlungen und internen Konflikten immer ein wenig an einen eigetragenen Verein erinnerte.
Für mich als jugendlichen Heftchenleser waren die „Rächer“ deshalb weniger aufregend als „Die Spinne“ oder „Die fantastischen Vier“: die besagte 2. Ebene fiel weg. Mir fehlten noch viele Ausgaben, die ich mir nach und nach auf Flohmärkten zusammensuchte und von Jungs übernahm, die sich aus Gründen zunehmender Reife von der Lektüre der Marvels abwandten.
Als ich mit 16 meine Mittlere Reife gemacht hatte, tat sich bis zum Beginn meiner Lehre eine Freizeit von drei Monaten auf. Meine „Rächer“-Sammlung war inzwischen bis auf wenige Nummern komplett, und ich beschloss, die Zeit für eine systematische (Wieder-)Lektüre zu nutzen. Nun kam der lange erzählerische Atem voll zur Geltung. Die Schwierigkeiten der Rächer untereinander erwiesen sich als das eigentliche Vergnügen und als einen Abschluss meiner Jugend, wie ich mir einen schöneren nicht hätte wünschen können. Mit der letzten deutschen Ausgabe, der Nr. 100, befiel mich eine ähnliche Wehmut wie sie die heutigen Kinofans bei „Avengers: Endgame“ erleben dürften. (Heute weiß ich, dass zugleich mit den Marvel-Comics des Williams-Verlags auch das Silver Age zuendegegangen war.)
Doch wir müssen nicht traurig sein. Für uns alle heißt es ja zum Glück: die Party wird weitergehen – auf die eine oder andere Weise.

Forts. folgt
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* Siehe voriges Kapitel: https://blog.montyarnold.com/2019/05/01/marvel-the-avengers-1/
** Dazu mehr in den folgenden Kapiteln von „Das sagte Nuff“.
*** Zu meinem persönlichen Liebling siehe https://blog.montyarnold.com/2016/10/01/aquarius-prinz-namor-der-held-von-atlantis-die-deutsche-chronologie-von-marvels-sub-mariner/

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