So fließend wie fehlerhaft

betr.: „Spaltet uns das Hochdeutsche, Herr Schommers?“ im Spiegel 19 / 2019

In den o.g. Artikel – ein Kurzinterview mit Gerhard Schommers, Vorsitzender der Mundart-Initiative im Kreis Cochem-Zell – haben sich ein paar Fehler und irreführende Vereinfachungen eingeschlichen.

Dass das Moselfränkische „im Weltatlas der bedrohten Sprachen der Unesco“ steht, lässt keineswegs darauf schließen, dass dieser Dialekt stürbe. Solange es schon aufgrund des allgemeinen Platz- und Wohnungsmangels nicht allen gelingt, in die Großstadt zu ziehen, die das gerne möchten, werden auch die Dialekte weiterleben, vermutlich sogar darüber hinaus.

Herr Schommers erklärt, wer einen Dialekt spräche, wüchse bilingual auf. Das ist unrichtig. Die meisten Menschen, die in einem Dialekt erzogen werden, verstehen zwar die Hochsprache, beherrschen diese jedoch nicht aktiv. Das wäre ihnen auch nicht zu raten, weil gerade in der strengen Hierarchie der Heranwachsenden das Hochdeutsche im ländlichen Raum gern zum Anlass für Anfeindung und Ächtung genommen wird. Herr Schommers selbst bestätigt das weiter unten, indem er „steriles Hochdeutsch“ als „fürchterlich“ brandmarkt.

Weiterhin bedauert Herr Schommers die Distanz, die durch dessen Hochdeutsch zwischen ihm und dem Fragesteller entstünde. Mindestens die gleiche Distanz entstünde nach dieser Logik auch zwischen Herrn Schommers und all jenen seiner bundesrepublikanischen Landsleute, die einen anderen Dialekt als das Moselfränkische sprechen. Dem Hochdeutschen kommt somit immerhin die Ehre zu, eine Brücke zu bilden.

Die Verbindung der „Menschen, die vom selben Flecken kommen“ wird von der Mundart gefördert, muss aber nicht erst von ihr geleistet werden. Dass der Dialekt dazu beitrage, abschätzen zu können, „wie sie ticken, weil sie so reden, wie sie reden“ deckt sich zumindest nicht mit meiner Lebenserfahrung. In diesem Zusammenhang ist der Inhalt des Gesagten zumeist wichtiger als der Zungenschlag. (Die Kombination aus beidem ist gewiss besonders aufschlussreich.)

Dass „die Leute“ meinten, „wer Mundart schwätzt, sei ein Bauer, sei ungebildet“ ist eine gefährliche Theorie (weil sie andeutet, dass Bauern ungebildet seien, sei Herrn Schommers persönliche Meinung) und ebensowenig beweisbar wie seine Behauptung, „Kinder, die Mundart sprechen, sind geistig viel beweglicher“. Auch wenn das „Forscher“ „sagen“. Macht ja nichts. Man kann seinen Dialekt ja einfach um seiner selbst willen liebhaben, ohne ihn gegen die Hochsprache auszuspielen oder ihn sonstwie zum „Spalten“ heranzuziehen.

Die angeführten Vokabeln schließlich taugen nicht als Beweis für die insinuierte Überlegenheit des Dialekts*, da hier jeweils ein Wort einem gleichlangen und gleichbedeutenden gegenübergestellt wird. Um so zu argumentieren, böten sich regionale Ausdrücke an, die nicht übersetz- sondern nur (umständlich) erklärbar sind. Ein Beispiel ist das saarländische „graadselääds“ („gerade zum Leide“), das eine Mischung aus Sturheit, Renitenz, Gehässigkeit und Schadenfreude zum Ausdruck bringt, die erst durch eine Bitte bzw. Aufforderung ausgelöst wird und zumeist sogar den, der sie gebraucht, in Verlegenheit bringt, weil er den Gegenstand der Ermunterung eigentlich gar nicht mal so übel findet.
Ich bin sicher, solche Begriffe ließen sich auch im Moselfränkischen finden.

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* Siehe dazu auch https://blog.montyarnold.com/2014/09/19/kraeuter-der-provinz/.

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