Der Imperator inszeniert selbst

betr.: 127. Geburtstag von Fritz Kortner

Der verstorbene Fritz Kortner kann sich darauf verlassen, dass man ihn heute vor allem als einen „Giganten des Theaters“ in Ehren hält, als einen „Rebellen“, einen „Besessenen“ oder was es sonst noch für romantisierende Aufkleber gibt. Anlässlich seines Geburtstages habe ich mir die Freude gemacht, seinem Ruf als großer Regisseur (er war zunächst einmal Schauspieler gewesen und später Autor einer vielbeachteten Autobiographie) am Beispiel einer Komödie von George Bernard Shaw nachzuspüren: „Androklus und der Löwe“. Von Kortners 1958er Münchner Inszenierung existiert glücklicherweise eine Fernsehaufzeichnung.

Androklus und der Löwe_1958
Wie schön, Curt Bois und Werner Finck wiederzusehen. Hans Clarin als zickiges, tuntiges Römer-Bübchen erkannte ich erst auf den dritten Blick. 

Meine Vorfreude wurde nicht nur von der schimmernden Besetzungsliste geschürt sondern auch von einer amerikanischen TV-Version des Stoffes, für die Rodgers & Hammerstein die Musik geliefert haben und die ich immerhin als Soundtrack-Album kennenlernen durfte.
Nun also die Kortnerfassung.
Schon im recht kurzen ersten Akt war ich irritiert. Der legendäre Witz des großen Shaw zündete irgendwie nicht recht, und das Timing des grandiosen Charakterkomikers Curt Bois und seiner Partnerin war komplett daneben. Das Kostüm des hinzukommenden Löwen wirkte wie das Produkt einer Kita-Bastelgruppe. Dieser armselige Gesamteindruck hielt sich bis zum Schlussvorhang.
Ein Blick in die Bois’schen Lebenserinnerungen, brachte keinen Trost, rundete aber das Bild. Bois erzählt, der Regisseur habe die Verfolgung und Ermordung der Christen im Alten Rom als Parabel auf die Nazi-Verbrechen angelegt. Abgesehen davon, dass die auftretenden Römer sich mit einer Art Hitlergruß bedenken (der aber auch nicht anders aussieht als entsprechende Gesten in amerikanischen Historienfilmen) ist die Inszenierung jedoch frei von entsprechenden Anspielungen. Ende der 50er Jahre mag sich dieser Unterton aus der Identität jüdischen Remigranten Kortner und entsprechenden Pressenotizen ergeben haben.

Als Androklus, ein armer griechischer Schneider, freundet sich Bois zu Beginn mit einem Löwen an, dem er einen Dorn aus der schmerzenden Pfote zieht. Für die Rolle des Raubtieres – es muss am Ende des Stückes mit Bois Walzer tanzen – wurde eigens ein Berliner Artist engagiert. Kortner probierte diesen Tanz, wie Bois erzählt, zweieinhalb Stunden lang ohne Unterbrechung und wurde nicht froh. „Was zum Teufel ist in Sie gefahren?“ brüllte er den Artisten an. „Sie müssen doch fröhlich und beschwingt sein!“ Er ignorierte, dass in dieser rumpeligen Pappmaché-Kostümierung jede Grazie zwangsläufig auf der Strecke bleiben musste, unabhängig von deren Inhalt.
Bois, der sich Kortner in seinen Schilderungen durchaus respektvoll nähert, attestiert seiner „Besessenheit (…) manchmal groteske Formen“ und schildert wie ein Kollege erkrankte. Als die Assistentin seinen Part auf der Probe las, rügte sie Kortner mehrfach wegen falscher Betonungen, bis die Dame nach zwei Stunden regelmäßiger Unterbrechungen und Anschisse in Tränen ausbrach und den Meister daran erinnerte, dass schließlich nicht sie den Ferrovius spielen werde.

Im zweiten Akt stößt Androklus in einem römischen Gefangenenlager zu einer Gruppe von Christen, die hier auf ihre Verfütterung an die Löwen in der Arena warten. Obwohl sich unter ihnen auch ein paar komödiantische Charaktere befinden, fällt die Rührseligkeit ihrer Darstellung unangenehm auf. (Zugegeben: heute ist unser Blick auf die Christenheit und ihre Amtskirche etwas kritischer als zu Kortners Zeiten.) Ebenso humorlos werden die Römer gezeichnet, wenn es sich nicht ausdrücklich um komische Nebenrollen handelt. Als Werner Finck in seiner jovialen Cäsarenrolle hinzukommt, lockert sich die Laune ein wenig auf.

Fritz Kortners Unerbittlichkeit im Angesicht seiner Schauspieler, seine Wutausbrüche sind legendär und sogar im Dokumentarfilm festgehalten und werden stets stillschweigend damit entschuldigt, es sei ihm ja um die Sache gegangen. Hier haben sie jedenfalls nichts genützt. Die gesamte Aufführung schleppt sich so planlos dahin, dass man sich fragt, ob hier überhaupt eine Spielleitung stattgefunden hat.

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