Große Momente für die Ewigkeit

Hin und wieder wird eine Zeitenwende im Film festgehalten, und wir dürfen einer technischen Revolution zusehen. So geschehen in Alfred Hitchcocks „Blackmail“ (1929), der als Stummfilm beginnt und nach dem Prolog zum Tonfilm wechselt. (Der wirkliche „erste Tonfilm“ zeigt uns diesen Umbruch nicht. Er hat ein paar Tonsequenzen – musikalische Einlagen – und endet wie er begonnen hat: als Stummfilm.)*

Auch bei Louis de Funès gibt es einen solchen History-Effekt. Dieser Schauspieler war schon kahl und rein optisch ein älterer Herr, als er endlich groß rauskam. Er hatte zuletzt einige Hauptrollen und tragende Nebenrollen gespielt, doch gekommen, um zu bleiben war er erst mit „Der Gendarm von St. Tropez“. Damit war sein Rollentyp endgültig ausdefiniert: das autoritäre, strampelnde Ekel, das uns dennoch unentrinnbar ans Herz rührt und vor Lachen wiehern lässt.
Der Film beginnt in der Optik eines Heimatfilms. Wir sehen eine kleine in sich abgeschlossene Sequenz, ähnlich wie in den ebenfalls gerade durchstartenden James-Bond-Filmen, allerdings in Schwarzweiß. Ludovic Cruchot (in der deutschen Titelvergabe wurde er zum „Balduin“) ist ein alleinstehender Dorfpolizist mit erwachsenem Töchterlein, der einen Hühnerdieb jagt. Es gelingt ihm, den Burschen auf frischer Tat zu ertappen, doch nun ist es Zeit für die heilige Messe. Der Dieb muss mit in die Kirche kommen (auch der private Funès war sehr religiös) und mit ihm im Kirchenchor singen. Dummerweise trällert der Ganove viel schöner (und lauter) als Cruchot, was ihn bei jedem Gesangs-Einsatz zur Weißglut bringt. Nach der Messe geht der Dieb stiften, Cruchot nimmt die Verfolgung auf; beide lassen es sich nicht nehmen, kurz am Weihwasserbecken anzuhalten und sich zu bekreuzigen.
Der radelnde Briefträger fängt den Polizisten ab, um ihm ein wichtiges Schreiben auszuhändigen. Es ist die Beförderung ins Sündenbabel St. Tropez. Cruchot ist überglücklich, dort mal gründlich aufräumen zu können. Er dankt dem Herrn im Himmel, dem er gerade ein so klägliches Ständchen gebracht hat; der Hühnerdieb ist vergessen.
Nun wird das Bild farbig – und das bedeutete Mitte der 60er Jahre
richtig bunt. Der Titelsong fetzt los: „Douliou douliou douliou St. Tropez“. Die Schwarzweiß-Ära ist zuende, die Swinging Sixties in voller Blüte, und de Funès ist ein Star. Er wird beides bleiben bis zuletzt: ein Star und der Gendarm von St. Tropez.
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* Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2014/10/06/ruhestoerung-in-hollywood-die-verschreckte-leinwand/

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Eine Antwort zu Große Momente für die Ewigkeit

  1. Wolfgang sagt:

    Der Text des Kirchenliedes findet sich bei Jesaja 5, 1-7 (sog. Weinberglied). Refrain: „La vigne du Seigneur Sabaoth, c’est la maison d’Israel.“Man kann nur spekulieren, warum die Filmemacher diesen Text gewählt haben (Cruchot als kleiner Gott, umgeben von Unmoral und Verderbnis?). Auf jeden Fall wohl keine zufällige Wahl 😉

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