Geliebter Offenbach

betr.: Radio-Sonderprogramme zum gestrigen 200. Geburtstag von Jacques Offenbach

Prinzessin von Trapezunt
Jacques Offenbach ist der einzige Künstler, der in meinem Herzen einen ebensogroßen Raum einnimmt wie im bildungsbürgerlichen Kanon. Obschon sein gestriger 200. Geburtstag also im allgemeinen Bewusstsein, in seiner Geburtsstadt Köln sowie in den meisten Medien (dem Fernsehen etwa oder dem Internet) niemandem auffiel, so kommt er doch im Rundfunk zu seinem Recht.
Die Technik macht’s möglich: die heute zuendegehende Woche, die diesen Jubeltag umgibt, war in archivarischer Hinsicht ein derartiges Besäufnis, dass ich mein Lieblings-Offenbach-Motiv – das dekadente Violinsolo aus der „Orpheus“-Ouvertüre – in Dauerschleife zu hören meinte (den üblichen Tinnitus gnädig verdrängend).

In den unzähligen öffentlich-rechtlichen Kulturprogrammen wurde Offenbach überschäumend gefeiert: mit Features, Sendereihen, Konzerten und Archivaufnahmen. Und mit einer reichlich grotesken „Offenbachiade“ von Dominique Horwitz (dessen vulgär-morastiger Charme weitaus besser zu François Villon passt als zu Offenbach). Mein Lieblingsmoderator Matthias Käther durfte seinen wöchentlichen „Opernführer“ auf dem rbb zum monothematischen Fünfteiler ausdehnen …
Natürlich konnte ich mir die ganze Pracht nicht linear anhören, aber zum Glück haben wir heute Home-Entertainment-Bedingungen, von denen Offenbachs Zeitgenossen nicht einmal träumten. Der Festplattenrecorder dampfte im Dauerbetrieb, und ich habe mir ganz schön was abgeholt für meine Gebühren.
Wer weniger auf der Hut war oder kein solches Gerät bewirtschaftet, der kann die ARD-App und die einschlägigen Mediatheken nutzen, um sich dieses Vergnügen nachträglich zu bereiten.

Perichole

Jacques Offenbachs Musik ist lebensfroh und dekadent, aber sie besingt nicht das besinnungslose Besäufnis, die rasende Verfressenheit. In ihr schwingt immer das Wissen um die Vergänglichkeit der süßen Stunden mit, das Bewusstsein, dass sich Glücksmomente nicht endlos dehnen lassen, und dass man daher die Feste feiern muss wie sie fallen. (Ganz recht: man muss.) Jede Lust mag Ewigkeit wollen, dennoch braucht das Wissen um ihre Endlichkeit, um sich wahrlich entfalten zu können.
Offenbachs Schwung ist das Gegenteil vom Gestampfe des Ballermann-Schlagers.

 

Es ist sein Schicksal und der Preis des Erfolges, dass er vom Bildungsbürgertum nicht für voll genommen wurde und man weder seine subtil-melancholischen Töne noch seine politische und gesellschaftliche Satire zu würdigen wusste. So ist es bis heute geblieben: der Opernbetrieb hat grundsätzlich keine Hemmungen, etwa den Can-Can an irgendeine seiner komischen Opern anzuhängen – eine Ferkelei, die man sich bei Wagner und Verdi niemals trauen würde

Kurzbiographie – Offenbach und seine Zeit

Jacob Offenbach kam am Großen Griechenmarkt No. 1 in Köln zur Welt. Sein Vater Isaac war Kantor in der Kölner Synagoge und brachte ihm Geige- und Cellospielen bei. Als er 14 war, lieferte ihn Papa am bekannten Konservatorium in Paris ab. Das Privileg, dort zu studieren, war damals eigentlich Franzosen vorbehalten – kurz zuvor war noch der Klaviervirtuose Franz Liszt abgelehnt worden. Doch Offenbach, das Cello-Wunderkind, hatte Erfolg. Zwar schmiss er das Studium nach kurzer Zeit, doch aus Jakob wurde Jacques, der sich als Cellist und Komponist in Paris einen Namen machte. Die nächsten Jahre über trat er in den Pariser Salons als Instrumentalsolist auf, wo er als „Paganini des Cellos“ gefeiert wurde. Seine persönliche Verehrung galt vor allem Rossini, in dem er ein seelenverwandtes Genie erblickte und dem er mit einer „Hommage à Rossini“ für Cello und Klavier huldigte. Dem Meister aus Pesano wiederum wird die Bezeichnung Offenbachs als „Petit Mozart des Champs Elysés“ zugeschrieben.
In dieser Phase seiner Karriere komponierte Offenbach zahlreiche Stücke für sein Instrument, die nach und nach in unsere Konzertprogramme zurückkehren. Was seinen Ruhm begründete, waren jedoch die noch folgenden 102 oftmals wagemutigen Musiktheaterstücke, mit denen Offenbach der Romantik eine komische Seite hinzufügte und ein neues Genre schuf.

Mit der ersten Pariser Weltausstellung 1855 beginnt die französische Moderne – und nicht zufällig auch die Geschichte der Operette! Denn Offenbach war bemüht, die Touristenmassen der Ausstellung anzulocken. In seinem rechtzeitig eröffneten kleinen „Théâtre des Bouffes-Parisiens“ wollte er eigentlich winzige Komödien mit möglichst wenig Aufwand auf die Bühne bringen, doch seine grotesken Einakter wurden bald zum Geheimtipp der Stadt. Sie gelten heute als die ersten echten Operetten. Das Genre kam somit auf die gleiche Weise zustande wie 150 Jahre später das Musical: auf der Basis einer zuvor existierenden Musiktheaterform  (der Komischen Oper) und in der Werkstatt emsiger Atelier-Produktionen, die sich vor Publikum bewähren mussten.*

Geneviève de Brabant

Nach deren Erfolg wagte sich Offenbach nur zögerlich an abendfüllende Stücke. Als er sein erstes längeres Werk „Orpheus in der Unterwelt“ herausbrachte, war er bereits 39 Jahre alt. „Orpheus in der Unterwelt“ parodiert die Legende vom mythischen Sänger, der seine Frau von den Toten zurückholt – nur dass die beiden einander in seiner frechen Aufbereitung längst nicht mehr riechen können.
Offenbachs Dreiakter sollten ihm bald einen Ruhm verschaffen, der selbst den seines radikalsten Verächters Richard Wagner überflügelte. In den 1860er Jahren träumten die Menschen in ganz Europa davon, in Paris „Die schöne Helena“ oder „Die Großherzogin von Gerolstein“ zu sehen.
Nun ein gefeierter Operetten-Komponist, versuchte Offenbach, dem Publikum in komplexeren Werken zu zeigen, dass er mehr produzieren konnte als musikalische Farcen am Fließband. Opern wie „Fantasio“, „Die Rheinnixen“ oder „Vert-Vert“ sind nicht nur Vorstudien zum späten Meisterwerk „Hoffmanns Erzählungen“, sie haben eine eigene unverwechselbare Musiksprache.

Der deutsch-französische Krieg 1870/71 brachte die Wende: in Frankreich wurde Offenbach nun als „Deutsch-Jude“ angefeindet und – als er die Franzosen seiner Solidarität versicherte – in Deutschland als Vaterlandsverräter und „französisch-dekadent“ abgelehnt. Sein Weltbürgertum (als Jude, gebürtiger Deutscher und zum Katholizismus übergetretener naturalisierter Franzose) geriet zur Heimatlosigkeit.
Nach dem Zusammenbruch des Zweiten Kaiserreichs kam ihm mit seinem Widerpart Napoleon III. auch sein Stammpublikum abhanden. Doch der zähe Optimist schaffte es, sich in kurzer Zeit wieder als Superstar zu etablieren – mit Neufassungen alter Erfolge und frischen Werken wie „Die Reise zum Mond“, „Madame Favart“ und eben: „Hoffmanns Erzählungen“.
Die Uraufführung dieser großen Oper sollte der Meister nicht mehr erleben. Er starb mit 61 an den Folgen seines rauschhaften Lebenswandels und seiner langjährigen Gebrechen. Obwohl „Hoffmanns Erzählungen“ nicht im Sinne der Materialsituation unvollendet war, begann nun eine lange Zeit des Änderns, Umstellens, Streichens und Interpolierens. 134 Jahre sollte es dauern von den ersten Skizzen bis zur fertig rekonstruierten, lückenlosen Partitur. (Somit ist auch die nach wie vor eindrucksvolle Referenz-Einspielung von 1964, die sich im Jubiläumsprogramm findet, schon wieder überholt.)

Offenbach und Offenbarung – fängt beides mit „Offenba“ an.

Kein anderer Musikdramatiker hat eine so glanzvolle und vielfältige Rundfunk-Diskographie aufzuweisen. Deutsche und französische Rundfunkanstalten produzierten nach 1945 bis in die 90er Jahre hinein immer wieder charismatische Gesamt- und Einzelaufnahmen, die nicht für den Platten- oder CD-Markt, sondern exklusiv für Radiohörer gedacht waren. Der WDR fühlte sich seinem großen Sohn besonders verpflichtet. In Rufweite zum Großen Griechenmarkt und zum Opernhaus, wo die bescheidene Synagoge des Vaters Isaac Offenbach stand, hat er über Jahrzehnte Jacobs Werke produziert: die großen wie „Die Banditen“ und „Die Großherzogin von Gerolstein“, die obskuren Einakter à la „Die Rose von Saint-Flour“ oder „Die Hanni weint, der Hansi lacht“, hat den bekannten Werken und den unbekannten wie dem Bad Emser „Coscoletto“ Lorbeeren gewunden.
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* Zu Jerome Kern und seinen Bemühungen, auf der Basis der Operette ein amerikanisches Musiktheater auszudefinieren, siehe https://blog.montyarnold.com/2016/07/01/broadways-like-that-15-in-der-werkstatt/

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