Traum und Alptraum vom alten Süden

betr.: 62. Todestag von Oliver Hardy / Südstaaten-Klischees in der Kultur

Oliver Hardy verkörperte den pompösen Gentleman aus dem Süden der USA wie niemand sonst – wenn auch nicht von Anfang an. Er kam als Norvell Hardy 1892 Harlem, Georgia zur Welt. Seine Mutter nannte er „Miss Emmie“, die Anrede „Mammy“ war seinem schwarzen Kindermädchen vorbehalten.
Nach dem frühen Tod ihres Mannes konnte Mrs. Hardy die Leitung des sehr vornehmen Baldwin-Hotels in Midgeville übernehmen, und die acht Hardy-Kinder bestaunten das manierierte Treiben und Betragen der feinen Herrschaften aus dem Süden mit Begeisterung. Auf Oliver übten die Theaterleute eine besondere Faszination aus, ganz besonders die Sänger. Seine eigenen Gesangsdarbietungen vor den Freunden und Gästen der Familie führen zu ersten Kontakten zum Showbusiness.

Die Studien, die Oliver Hardy im mütterlichen Betrieb hatte treiben können, bewahrten sich in seiner Seele, aber zunächst waren sie seinem Stil nicht anzumerken. Als er Jahre später im Ensemble des Comedy-Produzenten Hal Roach aufging, war er überaus vielseitig und wurde immer dorthin gestellt, wo ein Platz frei war: er war Trottel oder Ehrenmann, Held oder Schurke, Mann oder Frau (!), Sidekick oder (komische) Nebenrolle. Der mollige Schauspieler hatte – wie viele Kollegen des Slapstick-Kinos – den Wagemut und die Körperlichkeit eines Stuntman, ehe es dieses Berufsbild gab.
Das Fehlen jener Grazie, die wir heute mit ihm verbinden, ist – mehr noch als seine optische Wandlungsfähigkeit – der Grund, warum wir ihn in seinen frühen Auftritten mitunter gar nicht erkennen.

Noch ganz zu Beginn seiner Partnerschaft mit Stan Laurel ist der charmante, schwerelose Hardy-Charakter noch nicht voll ausgebildet. Erst mit dem Aufkommen des Tonfilms (ohne, dass da ein Zusammenhang bestünde) wird er perfektioniert.
Nun wendet Hardy die eleganten Konversationsmanieren seiner Heimat nicht nur ganz direkt auf das Publikum an (mit dem er unverhohlenen Blicks in die Kamera kommuniziert), er macht sich auch über sie lustig, indem er seinen um Vornehmheit bemühten Charakter regelmäßig scheitern lässt.
In „Jitterbugs“, einem überdurchschnittlich guten Spätwerk von Laurel & Hardy, parodiert sich Hardy sogar selbst. Er maskiert sich als Südstaaten-Colonel und checkt mit großer Geste in einem Hotel ein. In dieser Verkleidung flirtet er mit seinem Gegenstück, einer Southern Belle.
In „Jitterbugs“ erleben wir ihn auch (und nicht zum ersten Mal) als Tänzer. Es war ihm stets ein Anliegen, seiner Körperfülle eine elegante Beweglichkeit entgegenzusetzen. „Ich habe immer versucht, schwerelos zu gehen“, erklärte er 1943 einem Interviewer. „Ich sehe es nicht gern, wenn dicke Männer sich so schwerfällig über einen Platz verbreiten, dazu besteht kein Anlass. Ich habe immer gerne getanzt, und so habe ich wahrscheinlich gelernt, mich leicht zu bewegen.“

Die zwei kulturellen Gesichter der Südstaaten

Oliver Hardy verkörpert das liebenswerte Gesicht des US-amerikanischen Südens, doch selbstverständlich gibt es zu diesem Klischee eine Kehrseite, und auch sie entstand am Originalschauplatz.
Die Autoren der Südstaaten sind Spezialisten für kaputte und perverse Portraits und Familiengeschichten.
Die Faszination der verstörenden, irritierenden Erzählkunst solcher Autoren wie Truman Capote, William Faulkner, oder Lillian Hellman ist ungebrochen – gerade in unserer Epoche der Selbstoptimierung, in der fast das gesamte Showbusiness vom Disney-Konzern geschluckt wurde.

In einem Aufsatz über die Kunst der Schriftstellerin Carson McCullers führte Tennessee Williams 1966 aus, warum die morbide Schauerlichkeit, mit der viele vermeintliche Schöngeister damals wie heute ein Problem haben, eine wesentliche Zutat künstlerischer Arbeit ist.
Williams stellt die Frage in den Raum: Warum sollte jemand (vereinfacht gesagt) über etwas so „Ekelhaftes“ und „Verrücktes“ schreiben wie es Carson McCullers etwa in „Spiegelbild im goldnen Auge“* tut – oder wie es Williams selbst in „Plötzlich im letzten Sommer“ auf die bisher erreichte Spitze treibt? Und warum sollte ein halbwegs vernünftiger Mensch sich einem so unbehaglichen Kunstgenuss aussetzen?
Er antwortet: die Kunst sei dafür zuständig, über jenes Schreckliche zu sprechen, das nicht fühlbar oder sichtbar bzw. physisch erkennbar ist. Greifbaren Schrecken zu ermessen – Krankheit, finanziellen Ruin, Krieg, Tod … – sei jedem Individuum möglich. Das Grauen hinter dem Fassbaren – Williams spricht von Symbolen – könne nur in der Verdichtung durch die Kunst gelingen. Und warum muss Kunst verdichten (um diese Bezeichnung zu verdienen)?
„Weil ein Buch kurz und ein Menschenleben lang ist.“

Nur ein Autor habe es geschafft, wirkliche Kunst zu schaffen, ohne zu verdichten oder die südstaatliche Variante des Horrors freizulegen: James Joyce. Dem Iren sei es gelungen, die Atmosphäre des Schrecklichen vollständig aus dem Normalen und Altbekannten abzuleiten, ohne ermüdend zu sein. Doch das brauche eben sehr viel Raum, und nicht jeder sei bereit, sich auf eine so umfangreiche Lektüre einzulassen.
Williams führt noch Marcel Proust als Beispiel an, doch dieser habe sich nicht getraut, konsequent zu sein und die Flucht in die Sicherheit angetreten: „Er war ein zu großer körperlicher Feigling. Die Atmosphäre seines Werkes hat eher etwas Mutterleib-Ähnliches.“

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* Näheres zu dieser gelungenen McCullers-Verfilmung unter https://blog.montyarnold.com/2017/12/29/die-schoensten-filme-die-ich-kenne-56-spiegelbild-im-goldenen-auge/

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