Richard Kummerfeldt – An den Rändern der Traumfabrik (3)

Fortsetzung vom 9.8.2019

Diesen Bericht seiner späten Aktivitäten als freier Filmmusikproduzent verfasste Richard Kummerfeldt im Exil in Südamerika für ein (deutsches?) Fachmagazin. Es gewährt Einblicke in die letzten Jahre der Tonträgerindustrie vor deren Verschlafen der digitalen Revolution, in die Welt der käuflichen Filmmusik, die Seele des Sammlers (heute „Nerd“), die Finessen des sich wandelnden Urheberrechts und erzählt von der Arbeit mit schwierigen Bürohengsten und Künstlerpersönlichkeiten in den 90er Jahren.

Anruf bei Arista

Ich sprach mit VRC, und wir beschlossen ein US-Fachmagazin zu abonnieren, das vollgespickt war mit Informationen über aktuell laufende Produktionen (vornehmlich in den USA und England). Unsere Überlegung: wenn man sich schon während der Produktion einklinkt, steigen die Chancen einen Bandvertrag zu bekommen. Die Gefahr besteht, dass sich zu so einem frühen Zeitpunkt Flops noch schwerer vorhersagen lassen. Welche Informationen hat man schon? Regie, Kamera und Hauptdarsteller (ungewiss) und einen oder zwei Sätze über den Inhalt.
Nun gut, ich versuchte es, und das Ergebnis entsprach hundertprozentig dem Titel meiner ersten CD: es war eine „Straße ohne Wiederkehr“.
Ich schrieb dutzende Briefe, führte endlose Telefonate ohne greifbares Ergebnis. Während eine Produktion läuft, haben die Beteiligten andere Dinge im Kopf, als eine Soundtrack-CD zur Filmpremiere fertigzubekommen.
Meiner Meinung nach denken diese Leute nicht weit genug. Hat der Film einen attraktiven Song, kann man die Rundfunkanstalten schon Wochen vor dem Filmstart mit einer Demo-CD bestücken.

Kommt der Titel an, hilft es dem Film enorm beim Start (oder der Fernsehausstrahlung). Aber wie will man das von Good Old Germany aus einem Produzenten in einen Vorort von L. A. klarmachen, der vielleicht gerade in diesem Augenblick damit beschäftigt ist, frisches Geld aufzutreiben, weil die Dreharbeiten teurer sind als veranschlagt?

Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite ist da ja noch der potentielle Käufer des Tonträgers. Diese Menschen sind eine Klasse für sich. Vom Gelegenheitskäufer über den Komponisten- bzw. Genresammler bis hin zum Komplettsammler (der sich die Sachen niemals anhört) ist dort jede Spezies vertreten. Aus meinen Saarbrücker Zeiten wusste ich, dass man einen Tonträger mit einem phantastischen Soundtrack kaum verkaufen kann, wenn der Name des Komponisten unbekannt ist und der Film nicht in Deutschland gezeigt wurde. Und auch die Mundpropaganda funktioniert nicht so richtig, ist doch die Soundtrack-Community besteht aus tausend Inselchen. Jeder lebt da wie Robinson, und kein Freitag ist in Sicht. (Ich bin mir gar nicht mal sicher, ob diese Leute an einem Meinungsaustauschs überhaupt interessiert wären …)
Aber nun zurück ins Jahr 1990.

War es nicht einfacher, Titel zu veröffentlichen, die schon einmal auf dem Markt waren, aber noch nicht auf CD angeboten wurden? Ich dachte dabei an „Taxi Driver“, „Close Encounters Of The Third Kind“, die Rózsa-Neueinspielungen auf Polydor und Decca und machte mich an die Arbeit. Die Deutsche Grammophon (Polydor/Decca) fand die gewünschten Titel nicht einmal in ihren Firmenunterlagen (trotz Angaben von Bestellnummer, Jahr der VÖ, Dirigent, Orchester), und Nachfragen in London ergaben, dass sie nichts tun konnten (oder machen wollten), weil nun einmal die Deutsche Grammophon in Hamburg zuständig sei. Eine erneute Nachfrage dort ergab, dass sie offensichtlich aus London alle wichtigen Angaben erhalten hatten, aber leider sei es Firmenpolitik, keine Titel sub- zu lizensieren. Basta!
Diese Erfahrung im Hinterkopf besorgte ich mir einen Termin bei der Ariola, zuständig für das Arista-Label. Die gute Frau Schreiber hörte sich alles geduldig an, nickte mehrmals verständnisvoll, und als ich geendet hatte, erklärte sie mir: Ja, sie persönlich würde ja gern, aber die Firmenpolitik (siehe oben) …

Ich tat, was ich stets in solchen Situationen tue – ich ging spazieren. Das Wetter war trüb, es hing Regen über der Stadt. Ich irrte ziellos durch Hamburgs Straßen, bis der Regen tatsächlich einsetzte. Ich flüchtete an meinen Schreibtisch.
Jetzt wollte ich es wissen. Was sagte eigentlich Arista zu meiner Idee? Ich rief in New York an, fragte mich durch und landete schließlich im Büro des verantwortlichen Ansprechpartners, eines gewissen Bill. Doch Bill war nicht in seinem Büro, und er würde auch an diesem Tag nicht mehr zurückkommen. Ist er denn morgen da? Das wisse man nicht so genau. Wieso? Nun ja, er sei im Krankenhaus. Im Krankenhaus? Was hat er denn, o Gott? Seine Frau erwartet ein Kind …
Ich weiss nicht mehr, wie oft ich angerufen habe. Irgendwann hatte ich Bill am anderen Ende der Leitung. Ich wollte mein Anliegen vortragen, und Bill kam von den Notizen auf seinem Tisch übergangslos zu der aufregenden Erfahrung, bei der Geburt seines Sohnes dabei gewesen zu sein. Als er irgendwann einmal Luft holen musste, berichtete ich, dass ich selbst neun Monate zuvor Vater einer wohlgeratenen Tochter geworden und ebenfalls bei der Geburt dabei war. Da hatten wir´s. Die beiden frischgebackenen Väter hatten ihr Thema. Es ging nun um Babynahrung, Windeln, Kinderwagen und Babykleidung. Wir quasselten mindestens eine halbe Stunde (die Telekom wird sich gefreut haben, VRC weniger), dann kam ich auf mein Anliegen zurück. Ich solle mir keine Gedanken machen, er schicke mir per Fax einige Informationen. Ende der Durchsage. Ich besorgte mir bei Thomas Fenn, der zu dieser Zeit neben seiner eigenen Schallplattenproduktion (FMS) im gleichen Haus einen Weinladen unterhielt, ein Glas Wein.

Ich lehnte mich in meinem Bürostuhl zurück und überlegte. Was sollte ich davon halten? Eine weitere Luftnummer? Oder würde er Wort halten? Das Glas war leer, und ich besorgte mir ein weiteres. Ich war ganz froh, dass der eher wortkarge Thomas nun wissen wollte, was los ist. (Mit wem hätte ich sonst reden sollen? Meine Lebenspartnerin Eva interessierte sich keinen Meter für meine Arbeit – ihr reichte der monatliche Gehaltsscheck, und ich wette, freiwillig hat sie sich nie im Leben eine meiner Produktionen angehört.) Thomas beruhigte mich und meinte aufgrund seiner langjährigen Geschäftsbeziehungen mit Amerikanern, wenn Bill nicht wollte, hätte er mir das gleich gesagt und sich nicht ausführlich über Windeln mit mir unterhalten. „Wart‘s einfach ab.“
Angeheitert machte ich mich auf den Heimweg und schlief dem Umständen entsprechend gut.
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* Siehe letztes Kapitel: https://blog.montyarnold.com/2019/08/09/14088/

Forts. folgt

 

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