Richard Kummerfeldt – An den Rändern der Traumfabrik (4)

Fortsetzung vom 16.8.2019

Diesen Bericht seiner späten Aktivitäten als freier Filmmusikproduzent verfasste Richard Kummerfeldt im Exil in Südamerika für ein (deutsches?) Fachmagazin. Es gewährt Einblicke in die letzten Jahre der Tonträgerindustrie vor deren Verschlafen der digitalen Revolution, in die Welt der käuflichen Filmmusik, die Seele des Sammlers (heute „Nerd“), die Finessen des sich wandelnden Urheberrechts und erzählt von der Arbeit mit schwierigen Bürohengsten und Künstlerpersönlichkeiten in den 90er Jahren.

Schöne Aussichten

Am nächsten Tag: nichts; am folgenden Tag wieder nichts – dann kam das Wochenende. Doch ich war nicht in Stimmung. Von Bills Antwort hing einfach zu viel ab: Größe oder Elend von Alhambra, meine wirtschaftliche Zukunft und damit die Zukunft meiner kleinen Familie.
Montag war ich etwas früher im Büro als üblich. Ich wollte Zeit haben, einen perfekten Brief zu schreiben und ein Gerüst für ein weiteres Telefonat zu zimmern.
Da kam VRC mit ernstem Gesicht herein, erklärte mir, dass er am Samstag im Büro gewesen sei und eine Nachricht aus den Staaten für mich habe und überreichte mir mit steinernem Gesichtsausdruck zwei Seiten Fax. Das war’s dann wohl, dachte ich, nahm die Blätter entgegen und begann zu lesen:
Konditionen, Laufzeit, Territorium für eine Lizenzierung der angefragten Titel. Garantiesumme: 3.000 US-$ je Titel. Wenn ich aber aus der beigefügten Liste noch etwas Interessantes fände, reduziere sich die Garantiesumme ab dem vierten Titel auf jeweils  2.500 $. Ich überflog ich die Liste und fand „1941“ und „The Fury“. Der Rest erschien mir wenig verlockend. Es waren fast ausnahmslos Musicals oder Filme, die nie in deutsche Kinosäle gelangt waren. Oh, ich hätte die ganze Welt umarmen können! Das war der Durchbruch, die Straße zum Erfolg! Ich schickte nun einen ganz anderen Brief nach New York als übers Wochenende geplant.
Am Nachmittag rief ich Bill wieder an. Nach kurzem geschäftlichem Geplänkel waren wir dann wieder bei unserem Nachwuchs … Im Anschluss verabschiedete ich mich vom Büro. Ich wollte nach Hause, Eva die phantastische Neuigkeit überbringen. Tat ich auch, doch ihre Reaktion war nicht wesentlich anders, als wenn ich ihr erzählt hätte, man habe am Kongo einen neuen Schädling entdeckt.
Die Erde hatte mich wieder. Ich ging in die Kneipe an der Ecke und kehrte erst nach Hause zurück, als alle Lichter in der Wohnung erloschen waren.

Nach etwa zwei Wochen bekam ich per Kurier die Master CDRs und die Verträge von der Ariola plus einem Anschreiben von der Frau Schreiber. Die Verträge waren bis auf den jeweiligen Titel und die dazugehörige Titelaufstellung identisch und umfassten 28 (!!!) Seiten. Darin war alles penibel geregelt: etwa wie im Falle eines politischen Umsturzes im Vertragsgebiet zu verfahren sei, was bei einer Währungsreform zum Tragen kommt … es fehlte nur die Invasion von Außerirdischen. Niemals vorher und auch niemals danach habe ich ein solches Vertragswerk gesehen geschweige denn gelesen.  Ich unterschrieb alles und schickte es an Frau Schreiber zurück.
– Ich konnte es nicht lassen, mich einige Tage später telefonisch für ihre tatkräftige Mithilfe zu bedanken – wollen wir hoffen, dass die Ironie auch angekommen ist.
Während ich die notwendigen Vorarbeiten für die Veröffentlichung erledigte, erhielt ich die Nachricht, dass Varèse „The Fury“ ebenfalls veröffentlicht. Aber mit einem Titel mehr. Ein weiterer Grund, Bill anzurufen. Kein Problem, ich sollte mir die Varese-CD besorgen und den Titel einfach übernehmen. Das Ganze ließ ich mir schriftlich bestätigen und erhielt dann auch von Frau Schreiber einen entsprechenden Vertragszusatz. (Auf die deutsche Beamtenseele war mal wieder Verlass!) Ich lehnte mich in zufrieden meinem Bürostuhl zurück. Vier CDs auf einen Streich, dank meiner Pampers-Kenntnisse. Das weitere war nun Aufgabe des Vertriebs.

Ich telefonierte mit Antwerpen. Dort gab es einen kleinen und feinen Tonträger-Vertrieb, der auch sofort anbiss. VRC war ein wenig undankbar, da er doch für den Vertrieb zuständig war. Aber die Erfahrung zeigte, dass die „Super“-Kontakte aus seiner Schweizer Zeit bei K-Tel nicht funktionierten. Diese Herren rechneten in 100.000er-Einheiten. Aber einen Soundtrack kann man nicht mit einem Popsampler vergleichen. In der Beziehung hatte VRC noch ein paar Erfahrungen zu sammeln.

Meine Zufriedenheit sollte nicht lange anhalten. Wie sollte es weitergehen?  Der Tonträgermarkt ist wie der Gemüsehandel: Nichts ist so alt, wie der Blumenkohl von gestern.
Etwas Gewaltiges, Zeitloses musste her. Ennio Morricone!
Zu Beat Records in Rom hatte ich gute Beziehungen, aber deren Firmenpolitik sah so etwas wie Lizensierungen nicht vor. Das ist verständlich, wenn man die Vorgeschichte  kennt.
Der Chef vom Ganzen, Franco da Gemini, hatte in Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ die Harmonika geblasen. Und den gleichen Titel nochmals für eine Single aufgenommen, die sich millionenfach in den USA verkaufte. Und was hatte Franco in seinen Händen? Während der Produzent wahrscheinlich in Downtown New York die Puppen tanzen ließ, saß Franco mit leeren Händen in Rom.

Und Cinevox? Neben (schlecht) nachgespielten Filmhits hatten die nur Soundtracks aus Horrorfilmen im Programm. Aber da gab es ja noch General Music. Enrico de Melis hatte ich Jahre zuvor kennengelernt. Ein reizender kleiner Mann mit sehr agilen Händen. Während ich etwas verstört auf den ungeordneten Berg von Tonbändern starrte, die da auf dem Büroboden vor sich hinverschimmelte, erkundete er meine Oberschenkel. Ich verabschiedete mich mit dem Hinweis auf einen anderen Termin.

Forts. folgt

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