The Man vs. The King (1)

betr.: 102. Geburtstag von Jack Kirby

Der Tod von Stan Lee auf dem dramat(urg)ischen Höhepunkt des Marvel Cinematic Universe hat auch die Diskussion wiederbelebt, wie groß bzw. unverzichtbar sein kreativer Anteil am Erfolg der Marvel Comics ist und was ein Gigant wie Jack Kirby ohne seine Instruktionen wert gewesen wäre. Wer über diese Frage nachdenkt, gehört zumeist einem von zwei Lagern an. Er wird entweder die Wichtigkeit von Lees künstlerischer und verlegerischer Vision in den Vordergrund stellen* oder auf die Beschwerden einiger Zeichner verweisen und auf die Prozesse, die vereinzelt sogar von ihnen geführt wurden. (Stan Lee selbst hat übrigens auch gegen den Verlag geklagt und sich schließlich außergerichtlich geeinigt …)

Dies ist der Versuch, einen ausgewogenen Blick auf die Frage nach der Wichtigkeit von Stan Lees Beitrag zu werfen. – Danach kann der Krach fröhlich weitergehen.
In diesem Zusammenhang wollen wir zwei Dinge genauer betrachten: die Besonderheiten der Comicbranche und ihre Geschichte sowie das Schaffen von Jack Kirby ohne Stan Lee.

Stan und Jack und das Goldene Zeitalter

Die beiden begegneten sich im New York der 40er Jahre, am Beginn einer Zeit, die wir heute als das Golden Age of Comics betrachten. Der Begriff führt hinsichtlich der Marvel Comics ein wenig in die Irre. Golden war an dieser Zeit die Emanzipation der an ein rein erwachsenes Publikum gerichteten Comic-Strips in Tageszeitungen zu einem eigenen Medium, dem Comic Book, das im Deutschen mit Comicheft treffender bezeichnet ist. (Wenn es ein Buch ist, heißt es heute Graphic Novel – sehr verwirrend, das Ganze …).
Einerseits war das Goldene Zeitalter dasjenige mit der intensivsten Comic-Produktion und den besten Umsätzen und andererseits jenes, in dem wir es am wenigsten (oder allenfalls zufällig) mit Kunst zu tun hatten. Es gab eine Reihe vereinzelter satirischer Geniestreiche vom Schlage „Krazy Kat“, die sich Pablo Picasso von Freunden nach Europa schicken ließ. Und dann gab es die Meterware der realistisch gezeichneten Liebes-, Western-, Horror- und Superheldengeschichten für ein zunehmend jugendliches Publikum.

Diese Comics waren ein Kind ihrer Zeit wie die anderen kommerziellen Printmedien Sensationsjournalismus (aus dem die Comics hervorgegangen sind), Schundliteratur („Pulps“) und Softpornos. Sie waren in den gleichen Lieferwagen unterwegs wie der geschmuggelte Alkohol oder die Groschenromane der Muttergesellschaft von Timely, dem Vorgängerverlag von Marvel.
Als grellbunte Bilderheftchen traten sie ihren Siegeszug 1939 an. Ein 24seitiges Heft kostete 10 Cents und war mit seinen 20 x 25 Zentimetern klein genug, um in einem High-School-Geschichtsbuch versteckt zu werden. Schon nach zwei Jahren produzierten dreißig amerikanische Comicverlage allmonatlich 150 verschiedene Titel und erreichten mit einer Gesamtauflage von 15 Millionen Exemplaren sechzig Millionen Leser. Ende der 40er Jahre hatte sich die Zahl der Heftserien verdoppelt, und die Leserschaft lag bei 50 Millionen. Anfang der 50er war eines von drei verkauften Druckerzeugnissen in den USA ein Comic.

Viele der an diesem Output Beteiligten – auch die Verleger – waren jüdischer Abstammung. Die Zeichner und Autoren amerikanisierten ihre Namen, um ihre Herkunft zu verschleiern, aber auch weil sie hofften, irgendwann aus dieser als minderwertig verrufenen Sparte aufsteigen und als seriöse Künstler arbeiten zu können. So wurde aus Jacob Kurtzberg Jack Kirby und aus Stanley Martin Lieber Stan Lee. Gelegentlich wurde darauf hingewiesen, wie ähnlich dieses Vorgehen mit dem Hüten einer Geheimidentität ist, die in den Geschichten so oft den Rahmen bildet.
Wie ihre jüdischen Schöpfer waren auch die Superhelden gesellschaftliche Außenseiter, die sich bewähren und durchschlagen mussten. Die kryptonischen Namen von Superman und seinem Vater – Kal-El und Jor-El – verweisen auf den hebräischen Background seiner Schöpfer Jerry Siegel und Joe Shuster. Will Eisner war überzeugt davon, dass der Superhelden-Mythos an sich auf die Sage vom Golem zurückgeht: ein Androide, der vom Rabbi Löw geschaffen worden war, um die Prager Juden „vor einer fast unbezwingbaren Macht“ zu beschützen. Jack Kirbys frühester Held, dessen Ruhm bis in unsere Tage reicht, war Captain America, ebenfalls ein Retter, der im Labor erschaffen wird. Auf dem Titelblatt der ersten Ausgabe, die 1941 noch vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg erschien, verpasst Cap dem „Führer“ einen Kinnhaken.

Als Jack und Stan einander in dieser Maschinerie erstmals trafen, galt eine strenge Arbeitsteilung bei der Herstellung von Comics, in der jeder seine Aufgabe hatte: der Autor bzw. Texter (Lee), der Vorzeichner (Kirby), der Inker, der Letterer, der Colorist – eine sehr amerikanische Auffassung von industrieller Fertigung, die sich auch in anderen Branchen (Autos, Nahrungsmittel, Bekleidung …) findet und mit der Kirby gehadert hat, obwohl er für diese Art Fließband- und Akkordarbeit prädestiniert war. Er war so produktiv, dass es für ihn selbst schon geschäftsschädigend war. Er sah die Sache so: kein Leser bekam seine Arbeit je zu sehen. Die mit Blaustift gefertigten Pencils wurden bei der Reproduktion unsichtbar, und nur die Nachzeichnungen des Tuschers erschienen im Heft.
(Das erklärt Kirbys irritierenden Vorwurf, Stan Lee habe nie auch nur eine Zeile verfasst: der Zeichner sah sich die Endresultate seiner Arbeit niemals an, da ihn einmal Erledigtes nicht mehr interessierte. So konnte er auch nicht sehen, was sich im fertigen Produkt in den Sprechblasen abspielte.)

1961, am Beginn des Silver Age, revolutionierten Stan Lee – inzwischen einer der wichtigsten Autoren und Redakteure bei Timely – und die Zeichner Jack Kirby und Steve Ditko mit ihren fehlbaren, schnodderigen Heldenfiguren den amerikanischen Comic. Es war ein guter Zeitpunkt, denn das Medium lag ziemlich darnieder. Seit Kriegsende waren ironiefreie Superhelden out, und die Kreativität der Branche war unter der Zensur eines humorlosen Comic-Code verkümmert. Die „Marvel Comics“ (bislang nur ein vereinzelter Heft-Titel) wurden zur eigenständigen Marke, die sich insbesondere an männliche Teenager richtete, die sich für Disneys Funnies zu reif fühlten.
Dabei verfuhr Stan Lee nach einer besonderen Methode.
Detaillierte Manuskripte, wie sie bei der Comic-Herstellung die Norm waren, wurden zugunsten einer Vorbesprechung abgeschafft, der eine von Lee getippte, sehr grobe Zusammenfassung der Handlung nachfolgte. Dann gingen die Zeichner an die Arbeit, strukturierten die Seiten und dabei auch die Geschichte. Kirby hielt sich nicht immer an das Besprochene, erfand Figuren, konstruierte bei Bedarf neue Handlungsstränge und schrieb teilweise Textvorschläge an den Seitenrand. Zuletzt verfasste Lee die Dialoge und trug sie in die bereits platzierten Sprechblasen ein, wobei er sich an Kirbys textliche Eingaben nicht gebunden fühlte. Dieses Vorgehen wurde auch den Lesern enthüllt und ging als „Marvel-Methode“ in die Comic-Geschichte ein. Es beförderte binnen weniger Jahre die Erschaffung eines schier unüberschaubaren Ensembles von Superhelden und -schurken, nährte aber auch den Verdacht, Lee könnte sich mit den nebenbei erbrachten Autorenleistungen seiner Zeichner geschmückt haben.
So unbefriedigend deren Situation auch gewesen sein mag, ließ Stan Lee an ihrer Identität jedenfalls nie einen Zweifel. Er führte auf der Eröffnungsseite einen Kasten mit Stabangaben ein, der einen gewissen Hollywood-Glamour verströmte und in dem er mit seinen Zeichnern (und Inkern) regelrecht prahlte. (Disney oder europäische Editoren wie Hergé oder Kauka haben auf solche Angaben in ihren Druckerzeugnissen ausdrücklich verzichtet.)

Dennoch vertiefte sich der Graben zwischen Stan Lee und seinen beiden wichtigsten Zeichnern mit dem Erfolg der Marvels in den 60er Jahren. Während Steve Ditko den Verlag frühzeitig für immer verließ, nachdem er zuletzt sogar als Co-Plotter genannt worden war, betreute Jack Kirby noch einige Jahre lang eine Vielzahl von Serien, erschuf atemberaubende Welten und pflegte seinen Unmut.

Forts. folgt

Dieser Beitrag wurde unter Comic, Gesellschaft, Marvel, Medienkunde, Popkultur abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu The Man vs. The King (1)

  1. Pingback: Die Marvels wie sie wirklich waren - Übersicht - Monty Arnold blogt.Monty Arnold blogt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert