Die Marvels wie sie wirklich waren: Fantastic Four / Die Fantastischen Vier (6)

Diese Serie mit Artikeln zur Geschichte der Marvel Comics aus dem Silver Age ist eine Übernahme aus dem Fanmagazin „Das sagte Nuff“ (2005-10). Ich bedanke mich herzlich für die Genehmigung, sie hier wiederzugeben. 

Die Fantastischen Vier auf dem deutschen Comicmarkt
von  Daniel Wamsler
http://dassagtenuff.blogspot.com/ (Fortsetzung vom 26.8.2019)

Teil IV
Panini – Paten der Superhelden?
(1996 bis heute)

FV 128_SchuberIm Gegensatz zu „Spider-Man“ ging die FV-Fortsetzung von Panini ziemlich in die Hose. Trotz guter Vorsätze und ambitionierter Aufmachung findet man Paninis FV-Schuber nur allzu oft im Ramsch wieder.

Nachdem der Stuttgarter Dino Verlag mit den MTV-Chaoten „Beavis & Butthead“ (Juli 1994) und den parallel zur Zeichentrickserie laufenden „Batman Adventures“ (Juni 1995) einigen Erfolg verbuchen konnte, folgten „Superman“ (Januar 1996) und die „Simpsons Comics“ (November 1996). Mit dem Neustart der mehr als sieben Jahre zuvor bei Ehapa eingestellten Serie um den Stählernen vom Planeten Krypton begann ein wahrer Superhelden-Boom an den Kiosken. Mit mäßigen Verkaufszahlen hatte DCs Wahrzeichen ein Comic-Dasein bei diversen Verlagen (Feest, Hethke, Carlsen) gefristet, bis es den Weg zurück in die Schwabenmetropole und damit zum Erfolg fand. Jahrelang hatte nach den Superhelden kein Hahn mehr gekräht und bei den Händlern lagen die Hefte wie Blei. Nun war es nur eine Frage der Zeit, bis Epigonen auf den Dino-Zug aufsprangen und ins Superhelden-Verlagsgeschäft einstiegen.
Splitter brachte „Wichblade“, Infinity „Spawn“ und die Ideenschmiede Paul & Paul (IPP) veröffentlichte eine deutsche Serie nach amerikanischem Vorbild, die erstmals mit gängigen Comic-Standards mithalten konnte, unter dem Titel „Helden“. Doch der Coup gelang den italienischen Klebebilderfabrikanten von Panini, die sich Marvels Aushängeschild „Spider-Man“ angelten. Nach dem Dino-Prinzip erschien zuerst ein knappes Jahr lang der Comic zur Zeichentrickserie „Spider-Man Adventures“, bis schließlich Anfang 1997, kurz nach der Einstellung bei Condor, eine deutsche Version der Serien „Amazing Spider-Man“ und „Spectacular Spider-Man“  unter dem Titel „Spider-Man / Die Spinne“ startete.

Dino hatte seine Fans und Abonnenten mit Beilagen, Variantcovern, Sonderausgaben, umfangreicher und fachkundiger redaktioneller Betreuung und vor allem mit einer originalgetreuen Wiedergabe und Handlettering regelrecht verwöhnt. „Marvel Deutschland“, wie sich der Panini Verlag fortan nennen sollte, konnte zwar nicht mit Handlettering, dafür aber mit jeder Menge Schnickschnack in Form von Postern, Trading Cards und natürlich Klebesammelbildchen aufwarten. Man kopierte einfach das Dino-Konzept, erreichte jedoch nie ganz dessen Klasse. Koordiniert wurde das Ganze von Marco M. Lupoi, der seit Urzeiten für die italienische Marvel Produktion verantwortlich zeichnet (Editoriale Corno). Mit Reinhard Schweizer holte sich Panini schließlich einen Marvel-Experten ins Boot, der fünf Jahre zuvor seine Doktorarbeit „Ideologie und Propaganda in den Marvel-Superhelden-Comics“ (1992) veröffentlicht hatte. Es schien, als würden die einstigen Fans, die in den Siebzigern die Williams-Hefte verschlungen hatten, ihre eigenen Comics machen. Unterstützt von Seiten der Comic-Fachpresse wurden die Bahnhofsbuchhändler und Comic-Shops in der Folgezeit von Neuerscheinungen geradezu überflutet.

FV #136_Seite 18Seite 18 aus Die Fantastischen Vier Nr. 136 aus dem verschmähten FV-Schuber von Panini. John Buscema war ein Meister der Splash-Panels.

Abgesehen von der Williams-Fortsetzung im Schuber „Die Fantastischen Vier“ brachte Panini relativ wenig klassisches Material der FV auf den Markt. Erwähnenswert sind die Bände und Einzelhefte der ursprünglichen US-Serie aber allemal. US-„Fantastic Four“ # 1-30 liefen innerhalb von „Marvel Klassik“ 4, 8 und 11 und enthalten neben zwei deutschen Erstveröffentlichungen (FF # 6 und FF Annual # 1) drei Geschichten, die es vorher nur beim bsv oder Condor in einer eher mäßigen Aufmachung gab (FF # 5, 10 und 21). Zudem erschienen FF # 17-30 ungekürzt, in FV Nr. 15-21, 23-25 und 27 hatte Williams die ein oder andere Seite bzw. das ein oder andere Panel entfernt. Somit sind die drei Hardcoverbände eine ideale Ergänzung zu jeder bestehenden FV-Sammlung, da die Williams Folgenummern (Die Fantastischen Vier Nr. 28 – 69, 73 und 75 – 124) komplett ungekürzt erschienen.

Neben FF # 128 – 137 in besagtem Schuber, brachte Panini noch insgesamt vier klassische Einzelhefte auf den Markt, die zuvor alle bei Williams und dem bsv verlegt worden waren. Zum einen den Nachdruck der FF-Erstausgabe aus „Marvel Klassik“ 4 mit deutlich sichtbarem Moiré-Effekt, der dem Marvel-Jubiläumspack 3 beilag. In Zusammenarbeit mit Modern Graphics FF # 10 mit einer Coverillustration von Alex Ross als sogenannte „Open House“-Edition und schließlich FF # 46 und 52 in den „Marvel Knights Pack“s 2 und 3. Alles schön, aber nichts wirklich Besonderes. Die Open House-Edition von FF # 10 konnte man immerhin zwischen Williams-FV Nr. 9 und 10 einordnen und dadurch eine kleine Lücke schließen, da es die Story vorher nur in Hit Comics Nr. 230 des Bildschriftenverlags gab.

Später erschien FF # 1 noch einmal innerhalb der F.A.Z.-Bibliothek „Klassiker der Comic-Literatur“ in Band 04. Da die Reihe in Zusammenarbeit mit Panini erstellt wurde, verwurstete man bereits erschienenes Material mit bislang (zumindest bei Panini) unveröffentlichtem. Absolutes Highlight sind dabei FF # 48-51 mit der Galactus-Saga und dem Folge-Heft „This Man… This Monster!“. Drei der ebenfalls im F.A.Z.-Band enthaltenen Storys stammen von John Byrne. Positiv anzumerken ist, dass durchweg ein einheitliches Lettering („RAM“, bekannt aus den frühen Panini-Heften) benutzt wurde, die Farben sind Geschmackssache. Das Format ist irgendwo zwischen Taschenbuch- und Heftgröße und damit noch gut lesbar. Auf jeden Fall kann man den Verantwortlichen eine sehr gute Auswahl der Storys bescheinigen.

FV-Schuber zum letzten! Der Deutsche Comic-Markt und das Verhalten des Zielpublikums sind oft unergründlich. Sicher ist jedenfalls, dass sich die Hefte FV Nr. 128 – 137 schlecht verkauften, und zwar so schlecht, dass sowohl der Schuber als auch die Einzelhefte spätestens seit der Jahrtausendwende verramscht werden. Bei den Spott-Preisen sollte jeder Williams-Sammler unbedingt zuschlagen. Für das wenige Geld erhält man ein klasse Produkt: zehn Hefte, die sich nahtlos an Williams-FV Nr. 124 anschließen, in einer gelungenen Übersetzung von Reinhard Schweizer, mit erstklassigen Zeichnungen von John Buscema und redaktionellem Vorwort von Max Briegel, im Mittelteil der Hefte außerdem ein Poster mit einigen Hintergrundinfos über die FV auf den Rückseiten. Selbst die bescheuerte, ganzseitige Sea-Monkeys-Anzeige wurde in einer aktualisierten Fassung übernommen. Vielleicht hätte man, wie beim „Die Spinne – das fehlende Jahr“-Schuber, die Williams-Zweitstorys und die alte Nummerierung weiterführen sollen. Doch wer weiß, ob es das gebracht hätte. Schade jedenfalls, dass solch ein ambitioniertes Projekt nicht von Erfolg gekrönt war. Im umgekehrten Fall hätte der Verlag durchaus noch das eine oder andere Schmankerl für die Fans vom Stapel lassen können.

Nächstes Kapitel: „The X-Men“
Forts. folgt

 

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