Richard Kummerfeldt – An den Rändern der Traumfabrik (8)

Fortsetzung vom 13. 9.2019

Diesen Bericht seiner späten Aktivitäten als freier Filmmusikproduzent verfasste Richard Kummerfeldt im Exil in Südamerika für ein (deutsches?) Fachmagazin. Es gewährt Einblicke in die letzten Jahre der Tonträgerindustrie vor deren Verschlafen der digitalen Revolution, in die Welt der käuflichen Filmmusik, die Seele des Sammlers (heute „Nerd“), die Finessen des sich wandelnden Urheberrechts und erzählt von der Arbeit mit schwierigen Bürohengsten und Künstlerpersönlichkeiten in den 90er Jahren.

Abstieg ins Kabinenkino

Ich muss gestehen, das Desaster mit CAM hatte mir viel von meiner Begeisterung genommen. Aber ich hatte keine Wahl, ich war auf VRC angewiesen. Ich schuldete ihm nicht nur Dank für die Chance, das Alhambra-Projekt realisieren zu können, sondern auch bares Geld. Und das kam so …

Im Frühjahr 1990 erhielt ich einen Anruf von Heinz L´hoste. Jahre vorher hatte ich ihn kennengelernt, als er als Filmvorführer in Saarbrücken arbeitete, und wir hatten uns im Laufe der Zeit angefreundet. Speziell in der Zeit nach meiner Saarbrücker Pleite war er eine große moralische Stütze gewesen – Jahre zuvor hatte er selbst mit einem eigenen Kino Schiffbruch erlitten. Seine Erfahrungen aus dieser Zeit halfen mir, seine damaligen Fehler zu vermeiden. Um Ruhe vor seinen Gläubigern zu haben, hatte er die Eidesstattliche Versicherung abgegeben (im Volksmund auch: „den Dreimaster machen“). Einerseits hat man dann Ruhe vor den penetranten Anwälten der Gläubiger, andererseits wird das reale Leben deutlich schwieriger. Man bekommt kein Bankkonto mehr, keine Chance auf einen noch so kleinen Kredit für einen möglichen Neuanfang, und selbst die Telekom schließt kein Telefon auf deinen Namen mehr an. Heinz rief also an, voller Begeisterung, voller Tatendrang. Er hatte die „einmalige“ Möglichkeit, ein Pornokino in der (ehemaligen) Schuhmetropole Pirmasens zu übernehmen. Ein Pornokino musste einem zu jener Zeit wie eine Lizenz zum Gelddrucken erscheinen und war außerdem „völlig risikolos“. Es gab nur zwei kleine Probleme: Heinz konnte nicht (von wegen Dreimaster), und es fehlten die 30.000 Mark, die als Ablösesumme für die Projektoren, Leinwände, Bestuhlung usw. gefordert wurden. Ich sprach mit VRC, der sich vornehm mit seiner Meinung zurückhielt, aber signalisierte zu helfen, wenn die Umsatzzahlen im Kino stimmten. Eva – meine damalige Lebenspartnerin, Tochter gut katholischer Eltern – fand das Projekt gar nicht prickelnd, aber ich setzte meinen Dickschädel durch. Ich fuhr also nach Pirmasens, um mir das Objekt näher anzusehen.

Da saßen wir nun zu dritt zusammen. Als Kino gefiel mir der Laden überhaupt nicht, aber es war ideal gelegen: im Zentrum der Stadt mit einem etwas versteckten Eingang in einer Einfahrt. Nun wollte ich, mit Schulheft und Kugelschreiber bewaffnet, für VRC die genauen Umsatzzahlen wissen. Aber der Verkäufer Friedhelm Tubatsch – von seinen Freunden „Trulli“ gerufen – verwies mich auf seinen Kassenbon, auf dem jeder Besucher auftauchte, jedes zusätzlich verkaufte Getränk, jedes Kaugummi, jedes Pornomagazin. Super! Arbeit gespart! Am Nachmittag gegen 16 Uhr hatten wir die 300-Mark-Marke überschritten, gegen 20 Uhr waren wir beim Doppelten. Und Trulli meinte, wir sollten jetzt nur noch den Endspurt abwarten. Der fiel zwar nicht so üppig aus wie erwartet, aber wir verfehlten die 800 nur um wenige Pfennige. Und das an einem „normalen“ Mittwoch, einem kühlen und verregneten Märztag.

Am folgenden Donnerstag führte uns Trulli in die Geheimnisse seiner Buchführung ein. Ich denke, heute ist das alles längst verjährt. Nicht ihm, nicht mir wird durch diese Zeilen heute ein Nachteil entstehen, insbesondere, da es keinerlei Unterlagen mehr gibt. Also, die Buchhaltung war denkbar simpel: einfache  Einnahme-Ausgabe-Rechnung. Man musste nur darauf achten, dass die Besucherzahlen nie die Garantiesumme für die Filmverleiher überstieg, diese Zahlen zu 100% mit der monatlichen Steuererklärung übereinstimmten und fertig!  Mit diesem einfachen Trick rechnete Trulli sich jeden Tag arm, hatte aber immer seine steuerfreien 200 bis 400 DM in der Tasche. Der Freitag verlief wie die  vorangegangenen Tage, und mir standen (ungelogen) die Dollarzeichen in den Augen.  Ich nahm den Samstag noch mit und machte mich auf den Rückweg nach Hamburg.

Victor zu überzeugen war einfach, lediglich seine Bedingungen bereiteten mir etwas Bauchschmerzen. Aber warum nicht das vom ihm verlangte Geld bezahlen? Bei einer Netto-Einnahme von ca. 5000 DM im Monat war es absolut kein Problem, die Bank zu bedienen, VRC sein Geld zu bezahlen und so nebenbei Eva zu zeigen, dass Geld nicht stinkt.
Diese Zeit war neben der Tsunami-Epoche die problemloseste Phase meines Lebens. Warum erzähle ich das Ganze? Ganz einfach: ohne das Pornokino hätte es nie die „Miss Marple“-CD gegeben, ohne das Kino hätte mir Michael J. Lewis niemals in Berlin meine Aufnahmen rauben können. Aber dazu später mehr.

Zurück in die Gegenwart …
Forts. folgt

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