Richard Kummerfeldt – An den Rändern der Traumfabrik (9)

Fortsetzung vom 20.9.2019

Diesen Bericht seiner späten Aktivitäten als freier Filmmusikproduzent verfasste Richard Kummerfeldt im Exil in Südamerika für ein (deutsches?) Fachmagazin. Es gewährt Einblicke in die letzten Jahre der Tonträgerindustrie vor deren Verschlafen der digitalen Revolution, in die Welt der käuflichen Filmmusik, die Seele des Sammlers (heute „Nerd“), die Finessen des sich wandelnden Urheberrechts und erzählt von der Arbeit mit schwierigen Bürohengsten und Künstlerpersönlichkeiten in den 90er Jahren.

When Tarantula took to the hills

Das Jahr verlief mittelmäßig. Ich realisierte die möglichen VÖs und hatte wirklich wenig Lust, mich an anderen Projekten zu versuchen. Cordani wurde bedient, die Deutsche Bank erhielt ihren monatlichen Scheck und ich konnte meine marode Wohnung modernisieren. Eva war zufrieden und ich auch. Was will man mehr?

Aber 1992 sollte ich noch einmal zur MIDEM nach Cannes fahren. Außer den üblichen Sauf- und Fressgelagen passierte dort nichts wirklich Aufregendes. Bis auf eine peinliche Begebenheit. Lange habe ich darüber nachgedacht, ob ich Dir auch diese Geschichte erzählen soll, war ich doch lediglich eine Randfigur. Aber es ist die schlichte Wahrheit, und so ist es passiert:
Bevor ich mich auf den Weg nach Hamburg machte, besuchte mich Ingo Curth von Tarantula in meinem kleinen Programmkino in der Domstadt Speyer. Er bot mir eine Zusammenarbeit in seinem neu gegründeten Versandhandel an. Er wollte auch Tonträger veröffentlichen, und der Auftakt sollte nichts Geringeres als Jerry Goldsmith´s Musik zu „Das Omen“ sein. Doch wo und wie anfangen? Auf dem US-Label war nur diese eine Filmmusik erschienen, und es gab keine Adresse, keine Telefonnummer, es gab einfach NICHTS. Der Weg über Varèse* war versperrt, und einen Joe Haensch kannte ich noch nicht. Und Ingo nervte. Was also tun?
In einer der zahllosen schlaflosen Nächte (die Ingo mir nie bezahlt hat), kam mir eine geniale Idee. Ein Musikverlag! Was tun Musikverlage? Sie saugen das Geld von der GEMA ab, welches über Tonträger hereinkommt, von jedem Kinobesucher an der Kasse mitentrichtet oder über Fernsehausstrahlungen kassiert wird. Der (gesetzlichen und ethischen) Verpflichtung, das Werk auch zu verlegen, kommen sie am besten nach, indem sie einen Klavierspieler damit beauftragen, das Hauptthema in Noten zu fassen. Das war´s! Ich machte also den Verlag ausfindig und machte das Projekt dem verantwortlichen Herrn schmackhaft. Geschätzte 10.000 Einheiten (die Ingo dann auch locker verkaufte) würden dem Verlag rund 20.000 DM in die Kasse spülen, und wir einigten uns auf einen Vertragstext, der die Frage unbeantwortet ließ, ob Ingo nun eine Neueinspielung der Musik auf den Markt bringen wollte oder die existierenden Bänder benutzte. Ingo konnte sich mit dieser Vereinbarung zufrieden zurücklehnen, ihm konnte man keine Schwarzpressung vorwerfen. Er schenkte mir später eine (!!!) CD, während er sich dumm und dämlich verdiente. Kurze Hochrechnung: bei einem Preis von 20 DM für die LP und 30 für die CD machte er einen geschätzten Umsatz von etwa einer Viertelmillion. Gut, er bezahlte in dieser Zeit die Miete für das Ein-Zimmer-Koch-Klo, welches ich im Nachbarhaus bewohnte, aber das war es dann auch schon. Und diese Unterstützung fiel natürlich in dem Augenblick flach, da ich zu einem halbwegs fairen Gehalt zu VRC wechselte.
Aber wie sollte es nun mit Ingos Filmmusikproduktion weitergehen? Ich brütete über meiner „Straße ohne Wiederkehr“ und – was ich nicht wusste – Ingo über seinem nächsten Titel.

Etwa zu dem Zeitpunkt, da ich mich mit Bill in New York über Windeln unterhielt**; rief mich Ingo überschwänglich an: er hatte eine weitere CD realisiert. Neugierig besuchte ich ihn in seinem Laden, und es traf mich fast der Schlag! Er hatte „Greystoke“ von John Scott veröffentlicht. Mit dem gleichen Vertragstext wie bei „Das Omen“, aber mit „Greystoke“ als Vertragsgegenstand. Mit dem „Omen“ war meine Rechnung aufgegangen, denn wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter. Aber mit „Greystoke“, einem Titel, der WEA-Musik gehörte? Das konnte einfach nicht gutgehen. Und es ging auch nicht lange gut! Wer der WEA nun Ingos CD schickte, bleibt Spekulation, an der ich mich schon damals nicht beteiligen wollte. Aber etwa zwei Wochen später hatte Ingo ein wenig freundliches Schreiben von der Anwältin der WEA auf dem Schreibtisch. Ingo fragte mich, ob ich ihn nicht zu dem von der WEA anberaumten Termin begleiten könne, und ich ließ mich breitschlagen. Unter der Bedingung, nicht unter meinem eigenen Namen auftreten zu müssen. Ich erwartete täglich die Verträge von Bill und wollte meinen Namen nicht mit einem „Bootlegger“ aus Hamburg in Verbindung gebracht wissen. (Siehe auch unter „Buschtrommel“ weiter oben).

Ich erzähle das vor allem deshalb, weil ich dieser WEA-Anwältin noch ein zweites Mal begegnen sollte. Und das bei meinem zweiten MIDEM-Auftritt. Da saß sie mit ihrem frischgebackenen Ehemann an der Croisette, Kaffee trinkend und neben ihr „mein“ Anwalt, der Herr Dr. Kukuk. Aber alles der Reihe nach.
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* Das Filmmusik-Label Varèse Sarabande
** Siehe Kapitel 4 unter https://blog.montyarnold.com/2019/08/23/richard-kummerfeldt-4/
Forts. folgt

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