betr.: Das Hörbuch „39 Stufen“ von Jens Wawrczeck
Auch in der Kunst gibt es so etwas wie eine Abstammungslehre und die damit verbundenen Familienähnlichkeiten und Generationenkonflikte. So führt eine direkte Linie von Bing Crosby („White Christmas“) über dessen gelehrigsten Schüler Dean Martin („That’s Amore“) zu Elvis Presley („Jailhouse Rock“), bei dem man wiederum das Vorbild Dean Martin stets heraushörte.
Insofern ist „The 39 Steps“ der Großvater der James-Bond-Serie. Seinem Vorbild ließ Hitchcock seinen rasantesten Film „North By Northwest“ (einen Originalstoff) folgen. Und als wieder drei Jahre später in England endlich das langgehegte Projekt der ersten 007-Verfilmung glückte, war die Erinnerung erkennbar frisch.
„Die
39 Stufen“ führt uns weiter zurück in Hitchcocks Werk als die bisherigen Folgen
dieser Hörbuchreihe. 1935 konnte sich der aufstrebende Regisseur erstmalig
selbst einen Stoff seines Herzens aussuchen. Obwohl er Buch und Autor wirklich
schätzte, nahm er sich bei der Adaption so viele Freiheiten wie nie zuvor. Das Ergebnis
war derart wegweisend (z.B. für das junge Genre des Agentenfilms) und
erfolgreich, dass nun auch Hollywood auf Hitchcock aufmerksam wurde. Zum ersten
Mal steht mit Madeleine Carroll eine kühle Blondine im Zentrum, in deren
ungemütliche Erlebnisse sich leicht das sadistische Element
hineininterpretieren lässt, das Hitchcock später bei seinen klassischen
Hauptdarstellerinnen kultivieren sollte.
Aber nicht nur sich selbst gab der Meister hier viele Impulse, er bereicherte
den Schatz der filmischen Topoi ganz allgemein. Erstmals gibt es einen
makellosen Macguffin, ein streitbares Duo, das in Handschellen flüchten
muss, und nicht zuletzt ein Erzähltempo, das schon fast an unsere heutigen
Sehgewohnheiten erinnert.
Hitchcock bat seinen Drehbuchautor, alle Überleitungen und Erklärungen
wegzulassen und eher so etwas wie einen Episodenfilm zu konstruieren: „eine
Kurzgeschichte nach der anderen“. Wir kennen dieses übergangslose Hasten von
Schauplatz zu Schauplatz – richtig! – aus den Bond-Filmen.
Um es mit Hitchcock zu sagen: „Drama ist Leben, aus dem man die langweiligen
Sachen herausgeschnitten hat!“
Selbstverständlich gab es auch ganz direkte Aufbereitungen der „39 Steps“ in
Form zweier Remakes. Das erste davon war 1959 bemüht, sowohl dem Roman als auch
Hitchcocks Interpretation zu folgen. Doch es beging u. a. den Fehler, uns die
mysteriösen Beschatter des Helden aus der Nähe zu zeigen und damit ihr
Geheimnis zu ruinieren. Auch die famose Originalbesetzung fehlte … ach, wir
sollten uns lieber der Vorlage des Vergnügens zuwenden als seinen Folgen.