Richard Kummerfeldt – An den Rändern der Traumfabrik (18)

Fortsetzung vom 2.12.2019

Diesen Bericht seiner späten Aktivitäten als freier Filmmusikproduzent verfasste Richard Kummerfeldt im Exil in Südamerika für ein (deutsches?) Fachmagazin bzw. einen gewissen John. Es gewährt Einblicke in die letzten Jahre der Tonträgerindustrie vor deren Verschlafen der digitalen Revolution, in die Welt der käuflichen Filmmusik, die Seele des Sammlers (heute „Nerd“), die Finessen des sich wandelnden Urheberrechts und erzählt von der Arbeit mit schwierigen Bürohengsten und Künstlerpersönlichkeiten in den 90er Jahren.

MJLs‘ Concert Of Blood (i)

Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig, Herrn Lewis am späten Nachmittag in Empfang zu nehmen. Wie sich herausstellte, hatte er seine Tochter mitgebracht. (Was wollte die denn hier?) Ich sollte im Hotel von Einzelzimmer auf Doppelzimmer umbuchen (kein Problem) und machte ihm klar, dass er die damit verbundenen Mehrkosten selbst tragen musste. Da wir gerade beim Thema Geld waren: er wollte sein Honorar hier und augenblicklich haben und zwar den gesamten Betrag. Wenn ich ihm, wie vereinbart, jetzt nur die Hälfte gäbe (um den Rest nach Beendigung der Aufnahmen zu zahlen), würde er am folgenden Tag die erste Maschine nach L. A. nehmen.
War der Mann ohne einen Cent in der Tasche nach Berlin gekommen? Was konnte ich tun? Das Konzert war mit dem Namen des Gastdirigenten aus Hollywood beworben worden, er saß einfach am längeren Hebel. Er bekam sein Geld und quittierte den Empfang. Wir verabredeten uns für den nächsten Morgen, um in die Studios an der Nalepastraße zu den Proben und Aufnahmen zu fahren. Der RIAS hatte mir zwischenzeitlich mitgeteilt, das Lewis nicht mit dem Klangkörper des RIAS arbeiteten würde, sondern mit dem Orchester des ehemals „Volkseigenen Rundfunks“ in dessen Räumen. Wortlos machten Vater und Tochter sich auf den Weg in ihr Hotelzimmer, Thomas und ich gingen zum Abendessen. Wir hatten uns in einem billigeren Hotel einquartiert – ohne Schwimmbecken und Jacuzzi.
Thomas und ich wussten nicht recht, wie wir unseren Stargast einschätzen sollten. Am Folgetag sollten wir ihn etwas näher kennenlernen.

Ich rief noch kurz Heinz in Odense an. Ja, die „Miss Marple“-Suite sei im Kasten und klinge wundervoll. Und bis Freitag sei alles fertig (- es waren noch zwei weitere Suiten geplant). Freitag? Nein, das Orchester werde dadurch nicht teurer, es kämen nur die zusätzlichen Übernachtungen und gemeinsamen Mittag- und Abendessen dazu und natürlich zwei Tage mehr für die beiden Tontechniker. Und auch für Søren; das war ein junger, aufstrebender Komponist mit großen Ambitionen, und ich wollte immer mal eine CD mit einer seiner Filmmusiken veröffentlichen, sofern das dazugehörige Epos seinen Weg nach Deutschland gefunden hätte. Dazu ist es nie gekommen.
Aber zurück nach Berlin. Wir trafen pünktlich in den Studios ein, Thomas schleppte alle Partituren und Orchesternoten mit (die hatten mich in Hamburg einige tausend Mark gekostet). Wir machten uns untereinander bekannt, und es konnte losgehen. Ich weiss nicht mehr, mit welcher Musik er anfing, es war aber eines der schwierigsten Musikstücke. Besonders die Blechbläser waren gefordert. Und die trafen häufig einfach nicht den Ton. Wer mit den Kompositionen von MJL vertraut ist, kennt die schellen Blechbläsersätze, oft auch noch in den höheren Tonlagen – eine Tortur für ein normales Sinfonieorchester, dessen Standardrepertoire vermutlich von Mozart bis Bartók reicht. MJL wurde zunehmend ungehalten und beschimpfte das Orchester als „Laienkapelle“. Einige Tiraden später wurde eine Pause anberaumt. Thomas versuchte alle zu beruhigen, MJL und das Orchester. Mit einigem Erfolg, denn die Musiker ließen sich zum Weitermachen bewegen, und der Kopf des Maestros schwoll wieder ab. Wir war schlagartig klargeworden, warum dieser begnadete Komponist so notorisch unterbeschäftigt war. Welcher Regisseur, welcher Produzent wollte sich schon derartigen Ärger ins Haus holen?*
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* Die Wikipedia weiß zu berichten, dass Lewis sich im nämlichen Jahr 1994 von der Filmarbeit zurückzog und seither bevorzugt für die Werbung arbeitet.

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