Die wiedergefundene Textstelle: Prolog „Rebecca“

betr.: 100. Geburtstag von Agnes Fink

Der Film „Rebecca“ kam während des Zweiten Weltkriegs in den USA heraus, und somit bekam das deutsche Publikum ihn erst mit Verspätung zu sehen. 1951 war es soweit, zwei Jahre vor dem deutschen Start des etwa gleichaltrigen „Vom Winde verweht“. Das Dialogbuch schrieb Edith Schultze-Westrum, die Sprechrollen wurden mit einer edlen Auswahl der damaligen Schauspielerriege besetzt. Die namenlose Heldin wurde von Agnes Fink synchronisiert. Ihr Prolog nimmt in der Romanvorlage fesselnde vier Seiten ein.

Gestern nacht träumte ich, ich wäre wieder in Manderley. Ich stand vor dem eisernen Gitter der Einfahrt. Erst konnte ich nicht hineingelangen, denn der Weg war mir versperrt. Dann aber besaß ich plötzlich – wie alle Träumenden – übernatürliche Kräfte, und wie ein körperloses Wesen ging ich durch das Hindernis hindurch. Vor mir wand sich die Auffahrt.
Sie wand und schlängelte sich wie seit Alters her, aber als ich weiterging, merkte ich, dass sich etwas verändert hatte: die Natur war wieder in ihre Rechte getreten. Unaufhaltsam, mit klammernden Fingern hatte sie sich der Auffahrt bemächtigt.
Weiter, immer weiter wand sich der kümmerliche Pfad, der früher einmal unsere Auffahrt gewesen war.
Und schließlich stand ich vor Manderley – Manderley! Geheimnisvoll und schweigend lag es vor mir.
Das Mondlicht kann der Einbildung merkwürdige Streiche spielen. Plötzlich war es mir, als ob im Haus Leben sei, als ob die Fenster hell erleuchtet wären. Dann aber kam eine Wolke herauf und bedeckte den Mond für einen Augenblick wie eine dunkle Hand. Mithin verlöschte der Spuk, und ich blickte wieder auf eine öde, seelenlose Schale, und die Stimme der Vergangenheit raunte nicht mehr um seine starrenden Mauern.
Wir können nie mehr nach Manderley zurück, das ist gewiß, aber im Traum zieht es mich immer wieder dorthin, zurück zu jenen seltsamen Tagen meines Lebens, die damals in Südfrankreich begannen.

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