Posträuber im Nebel

betr.: 6. Todestag des Posträubers Ronald Biggs

Als öffentlich-rechtliche Sendeanstalt trägt man eine gewisse Verantwortung für die Erhaltung seines Archivs (inklusive des nach beiden Seiten allseits durchlässigen Giftschranks). Schließlich lagern darin unwiderbringliche Dokumente unserer Zeit- und Sittengeschichte. Und außerdem haben wir Gebührenzahler ja all das bezahlt, und eigentlich gehört es somit uns.
Der deutsche Filmklassiker „Die Gentlemen bitten zur Kasse“ lagerte – da es sich um einen TV-Mehrteiler handelte – nicht in einem Filmarchiv, sondern beim NDR, der dieses Juwel 1965 produziert hatte. Es war nun also grundsätzlich nicht davor geschützt, kassatiert* zu werden, wenn es in den Regalen mal wieder eng wurde.
Ganz so schlimm kam es bei diesem beliebten Klassiker der gelegentlichen Wiederausstrahlung zwar nicht, aber er blieb nicht unbeschädigt.

In den 80er Jahren erwachte mit der Vordringen der Video-Technik in private Haushalte auch ein neuer Markt, auf dem sich Fernsehschätze wiederverwerten ließen. Erst 1995 kam „Die Gentlemen bitten zur Kasse“ auf drei VHS-Cassetten heraus, zu diesem Zeitpunkt aber war das Unheil bereits angerichtet: die Filmkopie war längst vernichtet worden, da man die MAZ für alles Weitere als ausreichend eingeschätzt hatte. Wer sich den Dreiteiler heute auf DVD anschaut (so erschien er 2006), wird sich zuallererst über die lausige Bildqualität wundern, die weit hinter dem zurückbleibt, was man von älteren Fernsehspielen dieser Generation gewohnt ist.

Als der Richter im dritten Teil dieses Krimis einige der Posträuber verurteilt, begründet er das überaus drakonische Strafmaß für den Coup, der „in seiner Größe und Dreistigkeit in unserem Land kein Beispiel hat“ mit dem Hinweis: „Das Gericht legt Wert darauf, diesen ungeheuerlichen Affront gegen den Generalpostmeister Ihrer Majestät aller falschen Romantik zu entkleiden“. Dazu leistet die erhaltene Kopie der „Gentlemen“ nun ihren kleinen Beitrag.

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* Siehe dazu https://blog.montyarnold.com/2015/01/29/ignoranz-und-hoehere-gewalt-oder-der-mythos-vom-archivbrand/

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