„Mephisto“ – eine Einführung in Buch und Film

betr.: 120. Geburtstag von Gustaf Gründgens

„Ich habe Angst: es wird ein richtig gemeines Buch, voll von Tücken, wie es eigentlich nur ein Mensch mit schlechtem Charakter schreiben kann. (Dabei habe ich doch einen guten.)“, fürchtete sich der Autor. In der Tat sollte es um den Roman „Mephisto“ viel Ärger gegeben, ist er doch eine für alle Welt sicht- und durchschaubare Abrechnung von Klaus Mann mit seinem früheren Freund und Weggefährten Gustaf Gründgens, nachdem der unter den Nationalsozialisten zum mächtigen Kulturschaffenden aufgestiegen war. Doch bei aller Bosheit und Weigerung, dem Helden auch nur den leisesten Selbstbetrug durchgehen zu lassen, ist „Mephisto“ ein sehr subtiler Text. Er gestattet sich keinerlei Schrillheiten und verzichtet sogar auf den sprachlichen Gruselkitsch, der uns zuverlässig immer dann geboten wird, wenn vom Dritten Reich die Rede ist – sei es in der Belletristik, in der Comedy oder in der dokumentarischen Aufarbeitung.

Klaus Mann, Thomas Manns ältester Sohn, schrieb „Mephisto – Roman einer Karriere“ im Exil in Amsterdam, wo er 1936 erstmals erschien. Seine Schwester Erika, Kabarettistin der „Pfeffermühle“, hielt sich in der Schweiz auf. Sie hatte 1935, nachdem sie ausgebürgert worden war, auf Vermittlung Christopher Isherwoods, einem Freund der Mann-Geschwister, den britischen Schriftsteller W. H. Auden geheiratet. Ende der 20er Jahre war sie für kurze Zeit die Frau von Gustaf Gründgens gewesen.
Klaus Mann hat eine Ähnlichkeit seiner Hauptfigur Hendrik Höfgen mit seinem früheren Schwager offiziell immer bestritten (auch „Der Untertan“ seines Onkels Heinrich und „Bel Ami“ von Guy de Maupassant hatten als Inspiration gedient), doch Gründgens‘ Nachfahren erreichten über die bundesdeutschen Gerichte ein Verbot des Romans. 1949 schied Klaus Mann durch Selbstmord aus dem Leben. 1956 wurde „Mephisto“ in der DDR verlegt und war somit auch überall sonst zu bekommen.
1981 veröffentlichte der Rowohlt Verlag das Buch trotz des bestehenden Urteils. Im selben Jahr kam auch die Verfilmung heraus, die den Oscar als bester fremdsprachiger Film erringen sollte. Auch der Film hat den test of time bestanden.
Wovon erzählt der Roman, und wer verbirgt sich hinter den übrigen Figuren der Handlung?

Im Jahre 1936 ist der Schauspieler Hendrik Höfgen (ein „blonder Rheinländer“) Staatstheater-Intendant unter dem namentlich nicht genannten Diktator. Während die Judenverfolgung und die Zensur das Land in Angst und Schrecken versetzen, feiert er – geliebt für seine Verkörperung des Mephisto in Goethes „Faust“ – mit den Mächtigsten der Diktatur.
Der Text springt an den Anfang von Höfgens Karriere. Hier beginnt auch die Filmerzählung, die sich im Wesentlichen (wenn nicht anders angegeben) an die Vorlage hält.

Es ist das Jahr 1926. In der Kantine des „Hamburger Künstlertheaters“ wird die Idee eines revolutionären Theaters diskutiert. Höfgens Ehrgeiz ist größer als seine Hingabe. Er beteiligt sich an den Bemühungen, setzt allerdings nichts in Bewegung. (Im Film gefällt er sich in der Rolle des hochmögenden Brecht-Inszenierers, verzweifelt allerdings am Unvermögen seiner Laiendarsteller aus der Arbeiterklasse.) Während sich sein Kollege Otto Ulrichs (angelehnt an Hans Otto, deutscher Schauspieler linker Gesinnung) für eine linke Ausrichtung starkmacht, zeigt sich der junge Hans Miklas (Hans Slenka) feindselig gegenüber der berühmten jüdischen Schauspielerin Dora Martin (Elisabeth Bergner), die gerade am Haus gastiert. Höfgen hat sich während der Premiere in seiner Garderobe versteckt und tobt vor Neid, begegnet der Martin nach der Vorstellung jedoch mit größter Unterwürfigkeit.

Auf der Probe von „Frühlings Erwachen“ am folgenden Tag zeigt er sich cholerisch und gereizt. Erhellt wird seine Laune erst, als er sich zum Rendezvous mit seiner Geliebten aufmacht. Höfgen führt eine geheime Liebesbeziehung mit der dunkelhäutigen Tänzerin Juliette Martens (vermutlich Andrea Manga Bell), seiner „Prinzessin Tebap“. Auf eigenen Wunsch begegnet er der Geliebten als Untertan, den sie peitschen und beschimpfen muss. (Die perverse Note fehlt im Film. Bereits im Buch wird die Homosexualität des Protagonisten ausgelassen.) In Juliettes Gegenwart fühlt sich Höfgen geborgen. Das Theater hingegen ist für ihn eine nervenaufreibende Prüfung. Doch es verspricht ihm die Befriedigung seiner teuflischen Gier nach Anerkennung.

In der Premiere des neuen Stücks des Dichters Theophil Marder (Carl Sternheim) bekommt Höfgen an der Seite der glänzenden Newcomerin Nicoletta von Niebuhr (Pamela Wedekind) wohlverdienten Beifall. Beim gemeinsamen Abendessen nach der Vorstellung wird sein Interesse für Nicolettas Freundin Barbara (Erika Mann) geweckt. Sie ist die Tochter des Geheimrats Bruckner (Thomas Mann) und erscheint Höfgen als rettender Engel für seine Seele, die ihm allzuoft ins Dunkle entgleitet.

Am „Hamburger Künstlertheater“ scheiden sich unterdessen die Geister. Die Kommunisten machen sich für eine freie, revolutionäre Bühne stark, aber die Anhänger der nationalsozialistischen Idee werden immer mehr.
Auf seiner Hochzeit im feinen Hause Bruckner fühlt sich Hendrik verhöhnt, und Barbara beobachtet ihren neuen Ehemann tatsächlich nicht ohne Misstrauen. Hendrik stürzt sich in seine Theaterarbeit, während Barbara ihre beste Freundin Nicoletta schmerzlich vermisst, die dem Dramatiker Theophil Marder hinterhergereist ist. Hendrik enttäuscht Barbara als Mensch und fühlt sich seinerseits nicht wohl an ihrer Seite. Wenn sie ihn im Theater besucht, unterhält sie sich angeregt sowohl mit dem Revolutionär Ulrichs als auch mit dem nationalsozialistisch gesinnten Miklas. Darüber gerät Höfgen in Rage.

Nach einem wenig erfolgreichen Gastspiel in Wien bekommt er über die Vermittlung Dora Martins die Chance, in Berlin aufzutreten. In dem Stück „Die Schuld“ spielt er einen Bösewicht. Das Berliner Publikum ist hingerissen, und endlich ist Höfgen da, wo er immer hinwollte – die Arbeit in der Provinz war für ihn ohnehin eine Zumutung. So steigt er Anfang der 30er Jahre zum gefeierten Theaterstar in der Hauptstadt auf.
Während Barbara mehr und mehr von ihm abrückt, bezieht er eine große Wohnung am Reichskanzlerplatz.
Die nationalsozialistische Bewegung nimmt Fahrt auf. Höfgen denkt nur an seine Karriere. In der „Faust“-Inszenierung anlässlich Goethes hundertstem Todestag spielt er den Mephisto. In der Rolle des Teufels ist er so überzeugend wie nie, der Star der Stunde. Dora Martin gratuliert ihm nach der Vorstellung zu seinem Erfolg und verabschiedet sich ins Exil. In Gegensatz zu ihrem Kollegen ahnt sie die bevorstehende Katastrophe.

Während der Dreharbeiten zu einem Detektivfilm in Spanien erfährt Höfgen von der Machtübernahme Hitlers. Wähnte er sich gerade noch auf dem Gipfel seiner Karriere, traut er sich nun nicht mehr in sein Heimatland zurück. Zu groß ist die Angst, in der Vergangenheit Dinge getan zu haben, die ihm jetzt zum Verhängnis werden könnten. Er geht vorerst nach Paris, wo er Barbara zufällig in einem Café sitzen sieht. Aber er gibt sich ihr nicht zu erkennen und folgt der Einladung seiner ehemaligen Schauspielerkollegin Angelika Siebert zurück nach Berlin. Angelika hat sich bei der Schauspielerin Lotte Lindenthal (Emmy Sonnemann, spätere Göring) für ihn stark gemacht, genau jener Frau, über die Höfgen in Hamburger Zeiten so gespottet hat. Jetzt ist Lindenthal die Frau des zum Ministerpräsidenten aufgestiegenen Fliegergenerals (Hermann Göring), sie hat Einfluss. Während Höfgen alles daran setzt, Lotte Lindenthal für sich zu gewinnen, ist sein Freund Otto Ulrichs in großer Gefahr.

Bald steht Höfgen an der Seite Lindenthals in einer seichten Liebesgeschichte in Berlin auf der Bühne. Er bemerkt, dass sich das Theater rasch verändert: die neuen Machthaber bestimmen Spielplan und Darsteller. Durch gezielte Schmeichelei schafft er es, noch einmal in seiner Glanzrolle besetzt zu werden. Noch einmal darf er den Mephisto in Goethes „Faust“ geben. Der Ministerpräsident ist bei der Premiere zugegen und findet sofort Gefallen am Schauspieler Höfgen.
Der bewegt sich nun ins Zentrum der dunklen Macht. Er teilt mit dem Ministerpräsidenten sogar seine Fehler aus der Vergangenheit: die törichte Offenheit für revolutionäre Ideen und die Beziehung zu seiner dunkelhäutigen Geliebten. Während er Otto Ulrichs Freilassung erwirkt, um sein Gewissen zu beruhigen, wird ihm Juliette mehr und mehr zur Gefahr. Er bittet den Ministerpräsidenten, sie ins Ausland verschwinden zu lassen.

Es ist das Jahr 1934. Höfgens Schauspielerkollege Heinz Miklas war einst glühender Nationalsozialist. Nun äußert er sich häufiger kritisch über das Regime und wird daraufhin ermordet. Barbara lebt noch immer im Pariser Exil. Sie hat sich von Höfgen scheiden lassen und gibt eine politische Zeitschrift heraus, die sich mit den Kriegsvorbereitungen und dem deutschen Faschismus befasst. Ab und zu besucht sie ihren Vater General Bruckner am Mittelmeer. Auch ihre Freundin Nicoletta lebt dort im Süden, zusammen mit dem Dramatiker Theophil Marder, der an den Ereignissen in Deutschland zerbrochen ist. Jahrelang hatte Nicoletta ihm die Treue gehalten, doch jetzt gehen ihr die Kräfte aus. Sie beschließt, Marder zu verlassen und zurück nach Deutschland zu gehen, um an der Seite von Hendrik Höfgen wieder auf der Bühne zu stehen. Auf Hendriks Wunsch hin geben die beiden ein Gastspiel am „Hamburger Künstlertheater“, wo alles begann. Hendrik ist enttäuscht über die mangelnde Bewunderung seiner ehemaligen Kollegen für die Berühmtheit, zu der er es inzwischen gebracht hat. (Die Emigrantenschicksale werden im Film lediglich gestreift.)

In Berlin wird indessen über den Posten des Staatstheater-Intendanten diskutiert. Der Fliegergeneral setzt sich durch. Hendrik Höfgen verdrängt Cäsar von Muck (Hanns Johst, NS-Kulturfunktionär, seit 1935 Präsident der Reichsschrifttumskammer) aus seinem Amt und wird zum größten Theatermann des Landes. Aus Rache spürt Cäsar von Muck  „Prinzessin Tebap“ in Paris auf und streut Gerüchte über das zweifelhafte Liebesleben Hendrik Höfgens.

Höfgen hat sich eine Villa im Grunewald gekauft. Er bewohnt sie mit seinen Eltern und seiner Schwester Josy. In „Hendrikhall“, wie er sein neues Eigentum in Anlehnung an den Palast seines Förderers tauft, kommt alles zusammen, was nach Macht und Reichtum strebt.
Höfgens alter Freund Otto Ulrichs ist seit seiner Haftentlassung wieder im politischen Untergrund aktiv. Er will Hendrik für seine Sache gewinnen, doch der weist ihn bestimmt zurück. Die Gerüchte um Höfgens Affäre mit Juliette Martens werden immer lauter. Höfgen wird zum Diktator persönlich eingeladen und ist davon derart eingeschüchtert, dass er dessen Sympathie sogleich gewinnt und ihn von seiner Unschuld überzeugen kann. (Diese Szene fehlt im Film, der Führer tritt nicht auf.)
Er heiratet Nicoletta von Niebuhr, um alle Zweifel an seiner Person aus dem Weg zu räumen. Die beiden gelten der Öffentlichkeit als Inbegriff des schönen deutschen Paares, während sie in tiefsten Innern spüren, dass ihr Bündnis nicht mehr ist als ein weiterer Verrat.

Der Roman endet mit zwei unschönen Zwiegesprächen, die Hendrik Höfgens Zweifel an seiner Integrität als Künstler und Mensch verdeutlichen und vertiefen. Als er an „Hamlet“ arbeitet – einen Klassiker, der in seinem Werkverzeichnis nicht fehlen darf – erscheint ihm der Dänenprinz persönlich und spricht ihm jegliche Eignung für die Rolle ab. Dann dringt ein Fassadenkletterer in Höfgens Villa ein und stellt ihm ein vernichtendes moralisches Zeugnis aus.
Im Film verläuft das Finale noch weitaus unerfreulicher. Identisch ist in beiden Fassungen der letzte Satz, den Höfgen leise und verzagt zu sich selber spricht: „Was wollen die von mir? Ich bin doch nur ein Schauspieler!“

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