Daheimbleiben mit … „Nummer Sechs“

betr.: Sehenswertes für die Corona-Krise

Wenn es etwas gibt, das noch älter ist als die sprichwörtliche Zeitung von gestern, dann sind es TV-Serien von früher.
Unter den sofort aufflackernden Ausnahmen, die über solche Maßstäbe erhaben sind, sind erstaunlich viele britische Serien.
Eine davon zeigt einen bedrängten Helden in plötzlicher Isolation bei strahlendem Sonnenschein. Oberflächlich betrachtet wirken seine Lebensverhältnisse normal bis komfortabel, doch die Menschen beargwöhnen einander, das Leben steht seltsam still, und unser Held sucht nach einem Ausweg.
Die Serie „The Prisoner“ wirkt, als wäre sie nur für uns Heutige gemacht worden. Dass sie bei uns einst nur sporadisch (und zu mitternächtlicher Stunde) unter dem Titel „Nummer Sechs“ präsentiert wurde, macht sie einer Wiederentdeckung umso würdiger. Selbst die Befremdlichkeit, die im Frühjahr 2020 von der britischen Grundierung der Geschichte ausgeht, könnte nicht rücksichtsvoller mit einem Publikum sein, das unbehagliche Zerstreuung sucht.

Schräg, schräger, Ron Grainer. Das umfangreiche Schall-Archiv, das der Komponist mit einigen Kollegen für diese Serie erschuf, erschien 2008 in einer feschen CD-Box, die auch die Outtakes berücksichtigt. Coverboy ist der Hauptdarsteller Patrick McGoohan.

Schon in der kurzen ersten Laufzeit vom Herbst 1967 bis zum Spätsommer 1968 gingen Irritation und Begeisterung Hand in Hand.
Mit der Niederlegung seines Amtes verärgert ein Geheimagent nicht nur seine Arbeitgeber, sondern auch eine mysteriöse Organisation, die ihn am hellichten Tage entführt. Er kommt neu eingekleidet in einem beschaulichen Küstenort namens „The Village“ zu sich. An seinem Revers findet sich die stilisierte Darstellung eines Hochrades mit einem Sonnenschirm und die Zahl 6. Wie alle an diesem Ort ist er fortan nur noch eine Nummer. Die Unklarheit darüber, wer in diesem hermetischen Kosmos die Gefangenen und wer die Wärter sind, schafft einen perfekten Kosmos der Paranoia.
„Nummer 2“ versucht nun den Willen des Ex-Agenten zu brechen und den Grund für seinen Rückzug zu erfahren. Zur Anwendung kommen die Waffen der Frau, Drogen, Hypnose, Amnesie und Täuschungen aller Art, um den „Prisoner“ in den Wahnsinn zu treiben – bis hin zum Einsatz eines Doppelgängers. „Nummer 6“ bewährt sich immer wieder, ohne jedoch aus diesem Ort fliehen zu können.
Die Auflösung der Geschichte in Folge 18 (im Deutschen Fernsehen wurden die vier „schlimmsten“ weggelassen) verstörte das britische Publikum derart, dass der Showrunner und Hauptdarsteller Patrick McGoohan Morddrohungen erhielt – ein angemessen spleeniger Hinweis darauf, wie viel die Serie den Fans bedeutet hat. Der Schauspieler wanderte mit seiner Familie in sein Geburtsland USA aus, um dort jahrzehntelang immer wieder – häufiger als jeder andere Mensch auf Erden – von Inspektor Columbo festgenommen zu werden. „The Prisoner“ wurde im walisischen Resort „Hotel Portmeirion“ gedreht, wo sich ein reicher Architekt mit der Errichtung einer künstlichen Kleinstadt einen Traum erfüllt hatte. Die Mischung unterschiedlichster architektonischer Strömungen – das planvolle Anbauen im falschen Stil – schuf eine surreale Ortlosigkeit. Das Städtchen ist noch immer eine Pilgerstätte für die Liebhaber der Serie.
„The Prisoner“ fasziniert noch immer. Und das nicht zuletzt, weil er viele Rätsel offen lässt. Im Dialog heißt es: „Questions are a burden to Others; answers, a prison for oneself.“ In seinen wenigen Interviews lüftete Patrick McGoohan zwar nicht das Geheimnis des Namens seiner Figur, doch er erläuterte immerhin, was das Village-Logo bedeutet: Hochrad und Sonnenschirm bezeichnen die Tragik, dass der Mensch bei allem Streben nach Fortschritt und Erkenntnis auch immer Wert auf Sicherheit legt.

2009 wurde ein sechsteiliges Remake von „The Prisoner“ hergestellt, das der Grundidee nichts hinzuzufügen hatte und sich im Zeitkolorit verhedderte. Es lief bei uns im öffentlich-rechtlichen Satellitenfernsehen und war wenige Sekunden nach der letzten Episode vergessen.

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