Die schönsten Filme, die ich kenne (102): „Class Of ’99“

Vincent Price und die Führungskräfte von morgen. (NBC / Universal)

Als ich mir die berüchtigte TV-Serie „Night Gallery“ (1969 / 1970-72) erstmals systematisch anschaute, war ich hauptsächlich auf Camp und interessante Fehlschläge gefasst, und für weite Teile der ersten Staffel trifft das auch zu. Doch dann stockte mir förmlich der Atem bei einem Kammerspiel nach einem Originaldrehbuch von Rod Serling, eines Spezialisten für feine Dystopien.
Die Handlung spielt knapp 30 Jahre nach der Produktion des Films und wirkt wegen ihres zurückhaltenden Designs tatsächlich weitgehend ort- und zeitlos. Nur die Anwesenheit von Vincent Price verrät uns das Alter des Materials. Und niemals habe ich Price so schnörkellos und geradlinig spielen sehen wie hier. 

In einem stilisierten Hörsaal werden die mündlichen Prüfungen abgenommen. Der Abschlussjahrgang 1999 wird vom Professor zunächst zu naturwissenschaftlichen Themen befragt. Die Studenten glänzen mit raschen, präzisen Antworten. Dann wird ein gewisser Johnson aufgerufen und um die Namen von vier Wissenschaftlern gebeten. Beim vierten Namen erleidet er ein Blackout und wird vom Professor getadelt. Einen geradezu vernichtenden Rüffel zieht er sich zu, als er gegen das strenge Urteil aufbegehrt. Die Studentenschaft zeigt keine Gemütsregung, doch unter der kontrollierten Oberfläche des Professors brodelt es. Offensichtlich hat sich hier gerade ein bemerkenswerter Zwischenfall ereignet.
Das Thema Verhaltensforschung wird aufgerufen.
Nun müssen die Prüflinge nicht nur Fragen beantworten, sie werden in Konflikt-Simulationen verwickelt, die mündliche Prüfung wird zunehmend praktisch. Der Professor fordert einzelne von ihnen auf, persönliche Feinde im Saal zu benennen. Die Angesprochenen äußern sich freimütig zu ihren Abneigungen, teilen rassistische Bewertungen aus wie Schulweisheiten, geben Auskunft über ihren Klassendünkel und werden auf Anweisung beleidigend und sogar handgreiflich.
Auch die Angegriffenen funktionieren klaglos in der Entgegennahme der Feindseligkeiten. All das wird mit guten Bewertungen belohnt.
Schließlich fordert der Professor den Studenten Elkins dazu auf, einen natürlichen Feind anzugeben. Elkins‘ Wahl fällt auf seinen asiatischen Kommilitonen Chang. Als Elkins ein Revolver übergeben wird, um diesen Feind an Ort und Stelle auszuschalten, ereignet sich ein weiterer Zwischenfall …

Der TV-Serie „Night Gallery“ eilt der Ruf voraus, ein zweischneidiges Vergnügen gewesen zu sein. In der Tat finden sich ihre Highlights fast alle im zweiten Jahr, das auch in den verrutschten Folgen beachtliches Entertainment liefert. Die Serie erlebte ohnehin nur zweieinhalb Staffeln (in dritten Jahr wurde die Sendelänge halbiert), wurde für die weitere Syndikation bis zur Unkenntlichkeit umgeschnitten und mit Fremdmaterial verpanscht, was ihren Nachruhm selbst bei früheren Fans beschädigt hat. „Night Gallery“ ist einzig und allein aus einem Grund nicht völlig in Vergessenheit geraten, der zugleich der Hauptgrund ihres Scheiterns ist: der Schöpfer der Serie bekam einen Produzenten vorgesetzt, mit dem er sich in ständigem Zwist befand. Der Name des Schöpfers: Rod Serling – jener Rod Serling, der zuvor als Showrunner von „The Twilight Zone“ Mediengeschichte geschrieben hatte.

Der „Night Gallery“ wird – nicht zu unrecht – vorgeworfen, eine knallige Travestie von „The Twilight Zone“ zu sein. Beide Serien erzählen kurze, in sich abgeschlossene Short Stories aus dem Reich des Phantastischen. Während die schwarzweiße „Zone“ mit gruseligem Hintersinn den edlen Funken feierte, der (hoffentlich) tief im Menschen glimmt, ist die „Gallery“ als grellbunte Kuriosität für die jugendlichen Zielgruppen angelegt. Die beginnenden 70er Jahre vertrieben den gediegenen Look und die Geschmackssicherheit der „Twilight Zone“, auch Episoden mit einem guten Plot rutschen schnell in den Trash ab.
Der Verlust der künstlerischen Verantwortung bescherte Rod Serling die entscheidende Kränkung in der Abenddämmerung seiner Karriere. Er versank im Zynismus und starb wenige Jahre später mit 50 Jahren.

Rod Serling – Präsentator, Autor aber nicht Showrunner der „Night Gallery“ – vor dem Gemälde „Class Of ’99“. Wer die besten Folgen sehen will, sollte mit Season 2 beginnen und Season 3 ganz auslassen. (NBC / Universal)

„Class Of ‘99“ (1971) gehört zu den Beiträgen, die es mit Serlings besten Drehbüchern aufnehmen können. Die Geschichte führt uns konsequent in die Irre, und kaum haben wir uns von einer beunruhigenden Erkenntnis erholt, spüren wir, dass die nächste, noch unliebsamere Überraschung schon im Anzug ist. Erst wenn alles vorüber ist, erkennen wir die latenten Parallelen zu „Planet der Affen“, einem Kino-Drehbuch, das Rod Serling wenige Jahre zuvor verfasst hatte.
„Class Of ‘99“ ist eine Parabel, die nicht nur den für Vincent Price typischen billigen Kirmes-Grusel vermissen lässt (zu dem er in der 3. Staffel noch Gelegenheit hat), sie ist überhaupt nicht campy. Und trotz ihrer Gesellschaftskritik ist sie weder selbstgerecht noch beleidigt oder sentimental. In einer nur ein wenig besseren Welt (es muss ja nicht gleich eine ideale sein) würde sie nicht auf dem Grund des digitalen Kuriositäten-Schrottplatzes vermodern, sie wäre ein vielgespieltes Theaterstück.

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3 Antworten zu Die schönsten Filme, die ich kenne (102): „Class Of ’99“

  1. Danke Monty, ein Lichtblick in der unübersichtlichen Streaming Welt der Serien Staffeln.

  2. john sagt:

    Danke für den Hinweis auf diese must-see-Episode.

  3. Pingback: Edgar Allan Poe - Monty Arnold blogt.Monty Arnold blogt.

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