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betr.: 67. Geburtstag von Wolfgang Hohlbein / arte: „Die Gesichte der Fantasy“

Wolfgang Hohlbein ist einer der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller überhaupt. Seine 200 Romane haben sich mehr als 43 millionenmal verkauft. Ein solcher Output ist auch dann noch imposant, wenn man weiß, dass sein zentrales Genre die Fantasy ist.
Kürzlich versprach uns der Kultursender arte in einer zweiteiligen Doku „Die Geschichte der Fantasy“. Das war eine Mogelpackung, denn Geschichtliches erfuhr man hier nicht. Nachdem zu Beginn beider Teile der Hinweis gefallen ist, dass sich schon die Menschen der Antike gern Geschichten aus dem Reich des Übernatürlichen erzählt hätten, startet der übliche Mischmasch aus Filmclips und Statements von Betroffenen und Beteiligten. Sie erklingen in austauschbarer Reihenfolge und dauern nie länger als wenige Sekunden. Immer wieder wird uns erklärt, was der Begriff „Fantasy“ als Medien- und Massenphänomen heute bedeutet: alles kann passieren, jeder kommt drin vor – du auch!
Weder gibt es in dieser Sendung so etwas wie eine Chronologie, noch wird auf die Entwicklung der Literaturgattung eingegangen, die die Grundlage heutiger Rollenspiel-, Film- und Serienerfolge sowie einer immensen nicht-politischen Jugendkultur bildet. Die Säulen der Gattung – allen voran „Der Herr der Ringe“ und „Conan“ in früheren Zeiten sowie „Harry Potter“ und „Das Lied von Eis und Feuer“ („Game Of Thrones“) in jüngeren – werden zwischendurch regelmäßig aufgerufen, um den Eindruck einer hohen Durchschnittsqualität zu erwecken.

Den roten Faden des Zweiteilers bildet der Besuch einer Illustratorin im Heim von Wolfgang Hohlbein und die Grundregeln, die er ihr und uns verrät: dass der Held immer wieder Steine in den Weg gelegt bekommt, dass dieser Held bei einem Autor wie ihm auch mal Fehler machen darf (wie im Leben …), dass er erfreulicherweise überlebt und dass der Kampf Gut gegen Böse gerade wieder besonders aktuell ist. Auch bei der Erschaffung seiner Welten macht der Autor „gar keine großen Experimente“.

Wolfgang Hohlbeins eindrucksvolle Sammlung der eigenen Romane. Hier findet der Autor immer Anregungen für das nächste Buch.

Mit anderen Worten: alles ist doch letztlich genau wie bei uns selbst. (Dieser Überlegung folgend könnte man auch Romane darüber schreiben, dass jemand viermal täglich aufs Klo muss und sich in schwachen Stunden davor drückt, den Müll runterzutragen – solange er spitze Ohren und ein paar drollige Monsterfreunde hat.) Für die immergleiche Geschichte von einem das auszog, das Fürchten zu lernen und der nach episodischen Begegnungen mit vielen Feinden und einem Mentor wieder nach Hause darf, hat sich in den letzten Jahren der Kitschbegriff „Heldenreise“ durchgesetzt.
Herman Weigel, Drehbuchautor der „Unendlichen Geschichte“, ist die einzige kritische Stimme der Sendung: „Ich glaube, die ‚Heldenreisre‘ ist das größte Unglück der Fantasy-Literatur und des Fantasy-Films überhaupt. Jeder Leser, jeder Zuschauer kennt alle Wendungen im Schlaf. Diese Einfallslosigkeit schreit einen schon in der ersten Minute an!“
Doch der Ausdruck erfüllt seinen Zweck. Er täuscht Außenstehenden vor, man müsse (mindestens) ein Buch gelesen haben, um so etwas schreiben zu können. Fans wissen es besser: das muss man nicht. Das Konzept der „Heldenreise“ ist das, was jedem halbwegs gesunden Kind von selbst einfällt, wenn es sich beim Spielen zum ersten Mal auf eine längere Geschichte einlässt. Fantasy verströmt diesen behaglichen Duft von „Das kannste auch!“ Das ist das Geheimnis ihres Erfolges. Und es ist ja nicht einmal gelogen.

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