Geschichte des Komiker-Handwerks (37)

Fortsetzung vom 9.8.2020

Unwörter – Eine Nation hat schlechten Sex

Bis zum Beginn der 70er Jahre war Comedy vor allem eine sozialkritische Kunstform, dann etablierten sich daneben die „Counter Culture Comedians“, die sich mit der neuen Hippie-Kultur, mit Rockmusik und Drogen beschäftigten. Eine dreckige Ausdrucksweise und Themen, auf die sich früher langsam zubewegt wurde, durchzogen nun die gesamte Darbietung. Doch die enthaltene Satire sprach ausdrücklich auch das bürgerliche Publikum an, das nebenbei einen Blick in eine fremde Welt werfen konnte.

Frühe Hauptvertreter dieser Strömung waren die späteren Filmstars Cheech & Chong, die sich ausgiebig mit dem Kiffen beschäftigten. Und George Carlin, der mit seiner berühmtesten Routine „Seven Words You Can’t Say On Television“ ein breites Publikum ansprach.
Carlin stellte fest, dass es im mehr als 400.000 Wörter umfassenden englischen Wortschatz sieben Wörter gäbe, die offensichtlich etwas Besonderes seien: „Shit, piss, fuck, cunt, cocksucker, motherfucker, tits!“ Das gab ihm nicht nur Gelegenheit, diese „heavy seven“ gleich noch einmal öffentlich auszusprechen (ehe es ein anderer tat), er hatte damit auch gleich den Boden für das ausgiebige Spiel mit diesen Ausdrücken bereitet. „Tits“ fand er zu niedlich, um es zum Schimpfwort zu machen, es klänge doch eher wie ein zärtlicher Spitzname. Und vor allem war er „wirklich der Meinung, ‚fuck‘ ist ein sehr wichtiges Wort. Es bezeichnet den Beginn allen menschlichen Lebens, und doch benutzen wir es, um einander zu verletzen, als Abschluss einer Beleidigung: ‚Oh, fuck you man… fuck you and everybody who likes you!‘“ (Cadwiller Olden äußerte den Verdacht, diese Definition des Wortes „fuck“ ließe darauf schließen, dass die meisten Amerikaner nicht sonderlich viel Spaß beim Sex und die Lateiner mit ihrer Annahme recht hätten: „post coitum omne animal triste“.)
Seit Carlins Zeiten ist es damit noch schlimmer geworden. Die Formulierung „ich ficke dich“ im Sinne von „ich erniedrige dich“ oder „ich bin dir überlegen“ hat sich inzwischen auch bei uns eingebürgert.
Carlin mokierte sich in seinem Monolog weiterhin darüber, dass das Wort „(to) kill“ nicht auf der schlimmen Liste stünde. Noch so ein bis heute ungelöster Widerspruch …

Auszug aus dem Essay „Humor Omnia Vincit“
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