Gerade zuendegesehen: „The Americans“

betr.: Medienkonsum im Corona-Lockdown

Familie geht über alles (wie schon der „Pate“ Don Corleone wusste). Leider kann man sie sich nicht aussuchen (was er vermutlich ebenfalls wahrgenommen hat). In der Serie „The Americans“ (2013-18) ist zumindest die erste Regel außer Kraft gesetzt. Das Ehepaar Elizabeth und Philip Jennings, das mit zwei wohlgeratenen Kindern in einem Washingtoner Vorort lebt, findet das Vaterland noch wichtiger als die Familie. Dieses Vaterland sind jedoch nicht die USA, sondern Mütterchen Russland. Die Jennings‘ führen eine Tarnexistenz als Reisekaufleute und spionieren für den KGB. Ihre Kinder wissen davon nichts – obwohl Tochter Paige das Verhalten ihrer Eltern etwas eigenartig vorkommt.
Es sind die Jahre der Reagan-Administration. Die Handlung erstreckt sich bis zur Ankunft Gorbatschows, mit der sich Glasnost und Perestroika ankündigen.

Bislang unentdeckt: die Agenten Philip und Elizabeth

„The Americans“ von Joe Weisberg ist eine der besten modernen Dramaserien im (noch immer) aktuellen Trend, aber hierzulande taucht sie nicht einmal in einschlägigen Aufzählungen auf. Sie hat praktisch nicht stattgefunden (was die Protagonisten sicher gefreut hätte). ProSieben Maxx sendete die erste Staffel seinerzeit innerhalb weniger Tage. Damit machte man ein Zugeständnis an die Bingewatcher, war vielleicht aber auch froh, dieses ungewohnt hochwertige Format so schnell hinter sich gebracht zu haben. Auf dem linearen Bildschirm ist es nicht wieder aufgetaucht. Die restlichen der 75 Episoden waren und sind nur im Streaming zu sehen, inzwischen gibt es auch eine DVD-Komplettbox aus England, allerdings ohne deutsche Tonspur. Beim Agentenpaar Jennings ist der Vater der sympathischere, weil an der Dreckigkeit des Jobs zuweilen (ver)zweifelnde. Besonders in der letzten Staffel, in der sich Mutter Elizabeth in eine regelrechte Killermaschine verwandelt. Doch es sind besonders die weiblichen Figuren, die mir in Erinnerung bleiben werden: die armen netten Frauen und Mädchen aus dem Volk, die das Pech haben, als „Quellen“ auf dem Radar der Sowjetspione aufzutauchen oder von der „Zentrale“ zum Abschuss freigegeben zu werden. Das Schicksal der liebenswerten FBI-Sekretärin Martha hat mir schier das Herz gebrochen. Bei allen Grausamkeiten, die den Weg der Helden zwangläufig säumen, sind „The Americans“ ein leises, kammerspielartiges (ich möchte sagen: klandestines) Format, das bis zum Finale alle konventionellen Showdown-Erwartungen elegant unterläuft.
Der größte erzählerische Kunstgriff verweist auf Orwell: der Feind wird nie gezeigt oder auch nur beschrieben. Die Befehle dieses amorphen Gebildes sind so sprunghaft wie bürokratisch. Der große räumliche Abstand zur Front führt außerdem zu einer Inkompetenz, die die Agenten wie auch ihre fragwürdige Mission unentwegt zusätzlichen Gefährdungen aussetzt. „Die Zentrale“ ist nicht nur der Gegenspieler der zum Glück recht ahnungslosen FBI-Agenten, sie ist vor allem der Feind ihrer eigenen Leute.

Der Erfolg, den die Serie – hier ein Plakatmotiv zum Start 2013 – auch bei der Kritik einfuhr, sorgte für eine kurze Blüte von Kalter-Krieg-Projekten in amerikanischen Film- und TV-Ateliers.

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