Zu groß zum In-die-Tasche-Stecken

betr.: 84. Todestag von H. P. Lovecraft

Der Schriftsteller H. P. Lovecraft, der außerdem ein fleißiger Briefeschreiber war, hat 1920 einem seiner Adressaten berichtet, wie und womit er in Kindertagen gespielt hat – mit einer Spielzeugeisenbahn, deren Waggons aus kleinen Pappschachteln bestanden, mit einem Marionettentheater, das er selbst in einer Abseite des Elternhauses gebaut hatte. Er betätigte sich auch als Landschaftsgärtner. Er bewässerte den terrassenförmig um eine kleine Rasenfläche ansteigenden Garten mit einem selbst entworfenen Kanalsystem, dessen Gräben er mit eigenen Händen aushob.
An den Augenblick, da seine Kindheit vorüber war, erinnerte er sich ganz genau: „Dann bemerkte ich mit Schrecken, dass ich zu alt wurde, um daran Vergnügen zu finden. Die gnadenlose Zeit hatte ihre unbarmherzige Klaue auf mich fallen lassen, und ich war siebzehn. Große Jungs spielen nicht in Spielzeughäusern und nachgemachten Gärten, und voller Traurigkeit musste ich meine Welt einem jüngeren Knaben überlassen, der auf der anderen Seite des Grundstücks wohnte. Seit dieser Zeit habe ich keine Erde mehr ausgehoben und weder Pfade noch Straßen angelegt. Dieser Vorgang ist für mich mit zu vielen wehmütigen Erinnerungen verbunden, denn die flüchtige Freude der Kindheit kann niemals wiedererlangt werden. Das Erwachsenenalter ist die Hölle.“

Ich muss immer an diese Schilderung denken, wenn mir Freunde und Bekannte beim Anblick meiner Comicsammlung erzählen, dass sie ja ihre „Asterix“-Bände (es geht praktisch jedesmal um genau diese Comic-Serie) leider „irgendwann“ verschenkt oder zum Flohmarkt gegeben hätten und dass sie das später häufig bedauert haben. Ich weiß dann immer nicht recht, ob ich das glauben soll – schließlich kann man sich die Dinger ja jederzeit wiederbeschaffen, und gebraucht sind sie spuckebillig – oder ob sie das nur erzählen, damit ihnen nicht rausrutscht, wie befremdlich sie es finden, dass ich immer noch Comics lese. Vielleicht geht es ihnen aber auch wie H. P. Lovecraft: sie stellten eines Tages traurig fest, dass dieser Teil ihres Lebens zuende war und bedauern heute eher diesen Umstand als die Trennung von ihren nun nutzlos gewordenen Comics. Vielleicht ist dieser Lebensabschnitt aber auch gar nicht wirklich zuendegegangen – bei mir ist er es ja auch nicht -, sondern es ist lediglich eine (weibliche) Person in ihre Leben getreten, die ihnen befahl, mit dem „Unsinn“ aufzuhören.
Ich habe das Glück, einer solchen Person nicht begegnet zu sein – jedenfalls habe ich ihr nicht gehorcht. Außerdem war ich ein solcher Junge von der anderen Seite des Grundstücks, der die alten Comics haben durfte. Und zum Glück war es nicht einfach nur „Asterix“.

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