Richard Kummerfeldt – An den Rändern der Traumfabrik (19)

Fortsetzung vom 10.12.2019

Diesen Bericht seiner späten Aktivitäten als freier Filmmusikproduzent verfasste Richard Kummerfeldt im Exil in Südamerika für ein (deutsches?) Fachmagazin bzw. einen gewissen John. Es gewährt Einblicke in die letzten Jahre der Tonträgerindustrie vor deren Verschlafen der digitalen Revolution, in die Welt der käuflichen Filmmusik, die Seele des Sammlers (heute „Nerd“), die Finessen des sich wandelnden Urheberrechts und erzählt von der Arbeit mit schwierigen Bürohengsten und Künstlerpersönlichkeiten in den 90er Jahren.

MJLs‘ Concert Of Blood (ii)

Die Proben gingen weiter, und es lief etwas besser. Noch lange nicht perfekt, aber die Fortschritte waren nicht zu überhören. Aber was half‘s? Der nächste Patzer kam, und schon drohte der Vulkan MJL erneut auszubrechen. Thomas suchte das Gespräch. Der wortreiche Schlagabtausch endete damit, dass MJL Thomas hinauswarf und mich an seine Seite zitierte. Mich? Da stand ich nun mit einer Partitur in der Hand, die ich nicht lesen konnte, ein Choleriker neben und das Orchester vor mir.
Wir gingen ans Werk. Ich sehnte das Ende der nächsten Aufnahme herbei. Dann wollte mich der Orchesterleiter sprechen. Er wollte wissen, wer ich wohl sei, was meine Aufgabe war und ob ich eine musikalische Ausbildung hätte. Ich war ganz offen zu ihm, gestand, dass ich den Dirigenten am gestrigen Tag zum ersten Mal im Leben gesehen hatte und  dass ich genauso enttäuscht und entsetzt sei wie er. Er murmelte, so ähnlich habe er sich das schon gedacht, klopfte mir kurz auf die Schulter und war weg.

In Thomas waren unterdessen Mordgelüste gereift, was ich ihm nicht übel nahm. Wie so oft waren wir einer Meinung. Die Stimmung an diesem Abend war gedrückt.
Der nächste Tag wurde zu einer großen Überraschung, fast zu einem kleinen Wunder. Das Orchester war hochkonzentriert, MJL war selbstbeherrscht … vermutlich freute ihn, dass sein US-Kurzlehrgang „Wie diszipliniert man einen Kraut?“ sein Geld wert gewesen war. Ich selbst hatte noch eine andere Erklärung: der Orchesterleiter hatte mit seinen Kollegen gesprochen und die Situation klargestellt: Das Konzert stand vor der Tür und ich – wenig hilfreich – neben einer Zeitbombe. Geben wir unser Bestes!

Von nun an lief  alles weitgehend reibungslos. Dank der Tatsache, dass MJLs Hauptthemen einfach und für ein gewieftes Orchester (abseits der besagten schnellen Bläserpassagen) gut vom Blatt zu spielen sind, hatten wir bald mehr Titel auf Band als ursprünglich geplant. Die ausverkaufte Aufführung verlief zur allerseitigen Zufriedenheit, und auch die Aufnahmen im fernen Odense waren glücklich über die Bühne gegangen. Joe Haensch hatte mir die Zusendung des Vertrages mit MJL zugesagt, doch den hatte ich vor meiner Abreise aus Hamburg nicht bekommen. So erwartete ich nun, ihn auf meinem Schreibtisch vorzufinden.
Dort war er aber nicht.
Joe zeigte sich über meinen Anruf erstaunt. Er hatte den Vertrag MJL mitgegeben, der aber hatte ihn mir nicht ausgehändigt. Was hatte das zu bedeuten? Was hatte der Maestro vor?

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