Zur Geschichte des Spoilers

Eine fesselnde Geschichte bringt uns in Verlegenheit: einerseits würden wir zu gerne wissen, was als nächstes passiert, damit die Spannung nachlässt, andererseits wollen wir es aus demselben Grund nicht wissen. Wir würden dem Spielverderber (to spoil = verderben), der uns den ersten Wunsch erfüllt, sicher nicht dankbar sein.

Die frühzeitige Enthüllung des weiteren Handlungsverlaufs bzw. der Pointe der Geschichte verliert ihren Schrecken mehr und mehr, da sich das Sehverhalten des Publikums immer breitflächiger verteilt. Es wird immer unwahrscheinlicher, dass uns irgendjemand begegnet, der uns ausgerechnet das Ende derselben Serie, die wir gerade konsumieren, verraten wird.
Der dramatischste Fall der letzten Jahre dürfte das Finale von „Breaking Bad“ gewesen sein, das tatsächlich ein letztes Mal – wenn auch zeitversetzt – das sprichwörtliche Lagerfeuer einer umfassenden Anteilnahme aufflackern ließ. Um diese Zeit ging der Begriff „Spoilerwarnung“ in den allgemeinen Sprachgebrauch über.
Unsere Vorfahren kannten diesen Mechanismus noch nicht und waren dem Geheimnisverrat schutzlos preisgegeben. Legendär ist das Aufsehen (es will sogar Morddrohungen gegeben haben), das der Kabarettist Wolfgang Neuss im Januar 1962 erregte, als er die Enthüllung des Mörders im dritten Teil des „Straßenfegers“ „Das Halstuch“ in einer Zeitungswerbung für seinen gerade angelaufenen Kinofilm “Genosse Münchhausen“ verriet: „Ratschlag für morgen (Mittwoch abend): Nicht zu Hause bleiben, denn was soll’s: Der Halstuchmörder ist Dieter Borsche …… Also: Mittwoch abend ins Kino! Ein Kinofan (Genosse Münchhausen)“. 
Jahrelang rätselten die Medienphilosophen, woher Neuss den Täter überhaupt gekannt hat. Eine Theorie besagt, seine Mutter habe ihn einfach kriminalistisch erraten. Wer die Krimis von Francis Durbridge kennt, der weiß: das ist vollkommen ausgeschlossen, denn mit Logik arbeitete dieser Autor nicht. Nach dem (natürlichem) Tod des Künstlers im Jahr 1989 verbreitete sich der Hinweis, Neuss’ Mutter und Dieter Borsches Ehefrau hätten dieselbe Pediküre in Berlin frequentiert …

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