Der exklusive Klassiker Georges Brassens

betr.: 100. Geburtstag von Georges Brassens /40. Todestag von Georges Brassens (in einer Woche)

Das erste öffentlich vorgetragene Chanson von George Brassens (1952) ist vordergründig ein frivoles Couplet um einen brünstigen Affen und zugleich ein Plädoyer gegen die Todesstrafe, die noch bis 1981 in Frankreich verhängt wurde. Am Ende wird der Richter, über den der Affe herfällt, genauso nach seiner Mama schreien wie der Häftling, den er am Morgen noch aufs Schafott geschickt hat.

Wenn es darum geht, neu interpretiert zu werden und somit im heutigen Musikleben weiterzuexistieren, wird kein Französischer Chansonnier von Jacques Brel übertroffen* (was unzählige neue Übersetzungen seiner Werke und am Broadway ein Musical mit seiner Musik einschließt). Aber niemand genießt innerhalb des eigenen Kollegenkreises eine höhere Wertschätzung als Georges Brassens. Er wird dort häufiger als jede/r andere als großes Vorbild und als wichtigster Vertreter genannt.
Es ist auffallend, wie die Wahrnehmungen auseinandergehen – die der Chanson-Künstler und die der Musikfreunde.
Für mich etwa sind Charles Trenet und Gilbert Bécaud die Favoriten, bei den Damen würde ich zuallererst Juliette Gréco nennen und sofort die international agierende Marlene Dietrich hinterherschieben. Aber die Diseusen – die eigentlichen Stars des Chansons – waren zumeist Interpretinnen, denen männliche Kollegen als Texter und Komponisten zugearbeitet haben. Edith Piaf ist die große Ausnahme, aber sie ist derart popkulturell-prominent und über den Genrebegriff erhaben, dass sie meine persönliche Huldigung gar nicht braucht.

Kein Titel von Brassens ist im volkstümlichen Sinne populär geworden und wird außerhalb der Chanson-Gemeinde mit seinem Namen verknüpft. Was mir persönlich bei ihm fehlt, ist die zündende Melodie. Für meine Ohren sind seine Chansons zuallererst Vertonungen, die eine Botschaft oder wenigstens eine Geschichte transportieren, keine Kompositionen, die mich parallel zum Text (oder sogar ohne ihn) mitreißen. Brassens selbst hat immer wieder betont, wie wichtig ihm die textliche Ebene sei. Er hat sich oftmals mit politischen Gegnern bzw. mit den Herrschenden angelegt. Das trägt zu Ruhm und Anerkennung bei und erregt auch meinen Respekt – nützt mir aber gar nichts, wenn ich musikalisch mit- und hingerissen werden will. Dass auch berüchtigte Protestsongs, die sogar mit einem Verbot belegt wurden, dies durchaus vermögen, weiß ich von Boris Vians „Le déserteur“ oder von einigen Liedern der Eva Busch. Es hat aber noch keiner politischen Botschaft geschadet, von einer Melodie getragen zu werden, die ins Ohr geht. Im Grunde ist das ja der Witz an der Sache.

Im französischen Sprachraum ist Brassens schlicht „Le poète“ (so wie andere große Männer einfach „Der Barde“, „The King“ oder „The Master“ genannt werden).

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* Gewiss: Brel ist Belgier, aber das Französische Chanson war sein Tätigkeitsfeld.

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2 Antworten zu Der exklusive Klassiker Georges Brassens

  1. André Glaß sagt:

    nur ganz kurz – und nach so langer Zeit wird es vielleicht niemanden mehr interessieren: der Nebensatz „wird kein französischer Chansonnier von Jaques Brel übertroffen“ ist doch sicher nicht so gemeint, oder?
    Ich nehme an, dass JB unübertroffen unter den französischen (bzw. französischsprachigen) Chansonniers ist (oder war)
    Nichts für ungut, ansonsten habe ich hier schon viel Erhellendes gelesen – danke dafür.
    André Glaß

    • montyarnold sagt:

      Lieber André – das „französisch“ bezieht sich auf die Sprache, in der er singt. Bei Schriftstellern wird es auch so gehalten – wenn man’s im altmodisch-korrekten Sinne macht. Bei Comics ist es klüger gelöst. Man sagt „frankobelgisch“ und meint im Grunde fast immer „belgisch“ (so wie bei JB).
      Herzliche Grüße!
      Monty

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