Die wiedergefundene Textstelle: „Network“ (1) – Howards Monolog

NETWORK
MGM/United Artists  1976
Produziert von Howard Gottfried und Fred Caruso
Drehbuch: Paddy Chayefsky
Regie: Sidney Lumet

Zeit: 1975
Ort: New York City

Howard Beale war elf Jahre lang der Anchorman der WUBS-TV-Nachrichten. Er ist Anfang fünfzig, kürzlich verwitwet und kinderlos. Wegen sinkender Quoten wird er in zwei Wochen gefeuert werden. In der ersten Sendung nach Erhalt  dieser Nachricht kündigt Howard seinem Publikum an, dass er sich am nächsten Dienstag vor laufender Kamera erschießen werde. Der Effekt ist überwältigend: die Einschaltquoten für Mittwoch, Donnerstag und Freitag schießen in die Höhe. Der Sender erwägt seine Weiterbeschäftigung – und man ist dort ebenso gespannt wie das Publikum, was am Dienstag geschehen wird.
Unterdessen erlebt der Moderator etwas, was er auf dem Bildschirm später so beschreiben wird:


Heute nacht – es war kurz nach zwei Uhr morgens – wurde ich aus unruhigem Schlaf gerissen. Von einer schrillen, zischenden, unsichtbaren Stimme. Zuerst konnte ich sie nicht ausmachen. Es war ja dunkel im Schlafzimmer. Und so sagte ich: „Verzeihung, aber du musst etwas lauter reden. Was soll ich jetzt machen?“ – „Garnichts.“
Und die Stimme sagte zu mir: „Du musst den Leuten die Wahrheit sagen.“ Keine leichte Sache, denn die meisten wollen von der Wahrheit gar nichts wissen. Und ich sagte: „Soll das ein Scherz sein? Was weiß ich denn schon von der Wahrheit?“
Aber die Stimme sagte zu mir: „Mach dir keine Sorgen wegen der Wahrheit! Ich werde dir die Worte in den Mund legen.“
Ich sagte: „Wer bist du denn? Der brennende Dornbusch? Aber ich bin nicht Moses!“ Da sagte die Stimme zu mir: „Und ich bin nicht Gott. Was hat das damit zu tun?“
Und die Stimme sagte zu  mir: „Wir reden nicht von der letzten Wahrheit, der absoluten Wahrheit oder der ewigen Wahrheit. Wir reden von der vorübergehenden, vergänglichen, menschlichen Wahrheit. Ich erwarte ja nicht, dass ihr zur Wahrheit fähig seid, aber zur Selbsterhaltung werdet Ihr doch wenigstens fähig sein.“
Und ich sagte: „Warum ich?“
Und die Stimme sagte: „Weil du beim Fernsehen bist, du Dummkopf! 40 Millionen Amerikaner sehen dir zu und bei der nächsten Sendung könnten es schon 50 sein! Ich verlange ja nicht von dir, dass du in Sack und Asche durch das Land ziehst und die Apokalypse predigst. Du bist beim Fernsehen, Mann!“
Naja, ich dachte einen Augenblick darüber nach, und dann sagte ich: „In Ordnung.“

Sein alter Freund Max Schumacher, Chef der Nachrichtenabteilung, nimmt ihn danach zur Seite und gesteht ihm, dass er bei ihm einen Nervenzusammenbruch am Werk sieht. Er rät Howard, mit diesem Theater aufzuhören. Howard antwortet ihm:

Das ist keine psychotische Episode, das ist ein reinigender Moment der Klarheit! Ich bin erfüllt, Max! Ich bin von einem ganz besonderen Geist erfüllt! Das ist ganz und gar kein religiöses Gefühl, das ist eine schockierende Eruption starker elektrischer Energie! Ich fühle mich lebendig und aufleuchtend, so als ob ich plötzlich angeschlossen wäre an ein großes elektromagnetisches Feld! Ich fühle mich als ein Teil alles Lebendigen! Der Blumen, der Vögel, aller Geschöpfe dieser Welt! Und vielleicht auch als Teil einer großen, unsichtbaren, lebendigen Macht. Ich glaube, die Hindus nennen sie Prana. Es ist kein Zusammenbruch! Ich habe mich in meinem Leben nie ausgeglichener gefühlt! Es ist ein erschütterndes, wunderbares Erlebnis! Es ist das unendliche Fließen des Raum- und Zeitkontinuums. Bloß dass es raumlos und ewig ist. Voll ungeheurer Schönheit. Ich fühle, ich bin jetzt im Besitz einer großen, letzten Wahrheit! Und du wirst mich nicht aus dem Verkehr ziehen! Weder jetzt noch zu irgendeiner anderen raumlosen Zeit!

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