Briefszenen am Mikrofon (4)

Fortsetzung vom 20.12.2021

Variante 2
Der Empfänger liest den Brief laut vor – im ON


Der Brief ist ein ideales (weil unaufwändiges) Mittel, um einen Wendepunkt der Handlung zu markieren oder große Emotionen auszulösen. Daher müssen wir um seine Konsequenzen für den von uns gespielten Lesenden wissen (sei dies der eigentliche Empfänger oder jemand anderes, der davon betroffen ist). Falls wir die Geschichte nicht vollständig kennen (etwa im Synchron oder in einem Computerspiel), müssen wir all diese Einzelheiten von der Regie erfahren oder ggf. erfragen.

Eine herzlose Mutter verhöhnt den Abschiedsbrief ihrer Tochter.

Dieser Brief wird zu zweit gelesen. Eine Frau wird erpresst und darf ihre Emotionen, nicht zeigen, als ihr ahnungsloser Gatte ihr ein Schreiben des Erpressers präsentiert, das an ihn gerichtet wurde. Der Herr ist begeistert, die Dame nicht.

Auch offizielle Verkündigungen fallen unter diese Rubrik. Diese können ein größeres Publikum haben (Ansprachen, Interne Anweisungen, Verhaltensregeln bei einem Notfall) oder eine kleine, intime Zuhörerschaft (Verlesung eines Testaments).
In diesem Falle sind die Gefühle des Verfassers der Botschaft völlig unwichtig, und auch der von uns gespielte Vorleser hält sich emotional weitgehend heraus: was er liest, ist in erster Linie für andere bestimmt. Die allgemeine Stimmung im Raum ist wichtig, unser Vortrag muss zu dem Procedere passen. Wir gestalten kein Individuum sondern jemanden, der eine Funktion erfüllt.

Ein Notar verliest einige Gutachten. Die formelle Schlampigkeit seines Vortrages zeugt von einer guten Inszenierung.

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