Was ist eigentlich Avantgarde? (Wer ist eigentlich Avantgarde?)

„Avantgarde“ bedeutet „die Vorhut“ – ursprünglich im militärischen Sinne, seit der Jahrhundertwende auch und vor allem auf den Gebieten der Kunst und Gesellschaft, Wissenschaft und Politik. Es geht darum, was Leute machen, die ihren Zeitgenossen voraus sind. Das ist stets damit verbunden, dass alte Zöpfe abzuschneiden sind und sich des Widerstandes ihrer (vor)herrschenden Träger erwehrt werden muss. Dieses recht kühne, romantische Bild haben sich immer wieder einzelne Persönlichkeiten – besonders der Kunst und der Gesellschaft – selbst übergestülpt. Das ist tückisch und ein bisschen peinlich – so wie wenn sich selbst jemand als Lebenskünstler bezeichnet oder wenn ein erwachsener Mensch ein Rendez-Vous mit dem Hinweis eröffnet „Ich bin schüchtern“.
Wer wirklich Avantgarde ist, weiß die Nachwelt am besten zu beurteilen – wenn sie denn überhaupt eine Erinnerung an den Ketzer / Wirrkopf oder notorisch erfolglosen Schriftsteller bewahrt hat, auf den das zutraf.

Der Ausdruck hat aber noch einen anderen Nachteil. Genau wie die Begriffe „Postmoderne“ oder „Neuzeit“ neigt er dazu, als Einordnung rasch zu veralten. „Was soll das sein?“ fragte Marcel Reich-Ranicki immer, wenn ihm jemand mit der „Postmoderne“ kam. „Was soll denn danach kommen?“ pflegte Hanns Dieter Hüsch zu fragen, wenn die „Neuzeit“ bemüht wurde.
Nach gut 100 Jahren ist der Begriff „Avantgarde“ außerdem – wenn auch auf sympathische Weise – selbst veraltet und zur historischen Vokabel geschrumpft. Er basiert auf der idealistischen Vorstellung, dass in den Künsten ein universell menschheitlicher Fortschritt vorweggenommen werde. Das wäre inzwischen eine törichte Überhöhung.

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Raumschiff Enterprise – Fehlersuchbild

In diesem Programmhinweis für den Pfingstmontag sind drei Fehler versteckt.
(Auflösung am Pfingstmontag)

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Endlich wiedergesehen: „Blues Brothers“

Dieser Film ist nicht für mich gemacht, das war mir schon immer bewusst. Dennoch wollte ich einen frischen, möglichst analytischen Blick darauf werfen und den musikalischen Gaststars meine Ehre erweisen.

Zugunsten von „Blues Brothers“ sei gesagt, dass sein Regisseur John Landis einen wirklich tadellosen Job macht: die über den Abend verteilten hochkomplexen Action- und Zerstörungs-Sequenzen sind nie selbstzweckhaft und wirken in ihrer Choreographie ebenso mühelos wie die Musiknummer gegen Ende mit dem greisen Cab Calloway, die den ganzen Film lohnt und die in ewige Sicherheit gebracht zu haben, hoch zu preisen ist. Auch die übrigen Auftritte der Legenden der Black Music sind vergnüglich und voller Spielfreude. Es gibt ein paar großartige Gags. Der schönste: als Ray Charles ein Plakat in seinem Musikaliengeschäft verkehrt herum aufhängt, kann man sich nicht sicher sein, ob er selbst überhaupt jemals davon erfahren hat. Auch Kathleen Freeman (über viele Jahre die Lieblings-Charge von Jerry Lewis) ist als cholerische Nonne Schwester Stigmata ein absolutes Kabinettstück. (Sie lebte und arbeitete lange genug, um den Part zwanzig Jahre später auch in der Fortsetzung zu übernehmen.)
Leider ist die Musik – genau wie Oper, Folk, Rock und andere herrliche Sachen – für mich weder Filmmusik noch das geeignete Material für den Song Score eines Musicals (obwohl sie Zweiterem recht nahe kommt).

Was den Film für mich persönlich endgültig von wahrer Größe abschneidet, ist sein toter Mittelpunkt. Die beiden mimikfreien Rabauken in ihren schwarzen Anzügen gelten – das ist mir wohl bewusst – als „trademarkable icons“ der Hochkomik, bei denen das Gelächter im Saal quasi eingebaut ist. Und sie verlassen sich jederzeit auf diesen Bonus. Selbst angesichts ihrer flotten Tanzeinlagen bin ich wie gelähmt, so fremd ist und bleibt mir diese bierdeckelflache Selbstzufriedenheit. Für mich ist das Jungshumor aus dem vorigen Jahrtausend. Was die musikalischen Verdienste dieser Band angeht, die es ja seit 1970 tatsächlich gab: sie gehen für meine Ohren im Mainstream unter. Aber das ist angesichts eines solchen Aufgebots aus dem „show business heaven“ ja keine Schande.

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China heute

Kai Luehrs-Kaiser erzählt in der Sendereihe „Meine Musik“

Ich war vorige Woche etliche Tage in China, genaugenommen in Peking, Suzhou und Shanghai, Orte von durchaus unterschiedlichem Appeal. Shanghai – wo ich noch nie gewesen bin – stellt an Glamour und Spektakel schlichtweg alles in den Schatten, was man zwischen Asien, Europa und USA überhaupt finden kann; sogar Hong Kong verblasst, und der Times Square ist ein Dreck dagegen. Sehr amerikanisch das alles, ungeachtet aller politischen Drangsal, der man in China ausgesetzt ist. Inzwischen kann man keine U-Bahn mehr betreten ohne eine Sicherheitsschleuse zu durchlaufen wie wir sie nur vom Flughafen kennen: man muss sein Gepäck durchchecken lassen. Selbst in Museen kommt man nur noch hinein, wenn man sich vorher online registriert hat und seinen Reisepass vorlegt. Zu den Segnungen der Digitalisierung, wenn es denn welche gibt, gesellen sich in China deren Schrecknisse hinzu.
Bargeld ist dort praktisch abgeschafft, man zahlt per Handy. Nicht mal im Hotelrestaurant von Suzhou, und es war ein gutes Hotel, wurde meine VISA-Card noch akzeptiert, auch im Taxi nicht. Zwar soll es angeblich noch möglich sein, auch bar zu bezahlen, das scheitert aber meistens an den tatsächlichen Gegebenheiten. Nicht einmal in Supermärkten ist noch eine Bargeldkasse vorhanden. In den chinesischen Bezahlsystemen WeChat und Alipay hat man als Europäer nichts zu suchen. Dazu müsste man über ein chinesisches Konto verfügen. Entsprechend wenige Touristen trifft man an. (Dabei kommt man, wenn man nur zwei Wochen bleibt, aus Deutschland derzeit sogar ohne Visum nach China.)
China hat sich seine digitale Touristenfalle selbst gebaut. Naja, es ist ein großes Land, und die werden sich wahrscheinlich sagen: die Welt wird nachziehen – und sie werden recht behalten.

Dass dieses Land bereisenswert ist, muss ich nicht eigens betonen. Dass man in China – abseits aller kulturellen Begeisterung – ein gewisses Unbehagen nicht ganz los wird, hat politische Gründe. Die Leute selbst sind reizend, sehr freundlich, hilfsbereit, auch längst nicht mehr so übergriffig wie es noch vor einigen Jahren der Fall gewesen ist. Viele Phänomene, die ich noch vor einigen Jahren dort beobachtete, sind verschwunden.
Zum Beispiel gingen die Leute früher immer in die Parks, um ihre Ziervögel auszuführen: sie hängten diese Vögel in Holzkäfigen in die Bäume hinein, damit die auch mal an die frische Luft kommen. Ebenso versunken ist der Brauch, dass Künstler mit dicken Wasserpinseln kalligraphische Zeichen aufs Trottoir malten, die dann sofort wieder wegtrockneten, was sehr schön anzusehen war.
Während man in China den Turbokapitalismus installierte, hat man das autoritäre kommunistische Regime vollständig beibehalten.
Was ist das Lehrreiche an einer China-Reise? Wir sehen, wie rasend schnell man ein Land modernisieren kann. Innerhalb weniger Jahre wurde in Peking ein gewaltiges U-Bahnnetz als Ganzes unter der Stadt eingezogen. Die traditionelle Hutong-Bebauung hat man im selben Atemzug restlos beseitigt. Die riesigen Trabantenstädte, durch die man mit dem Zug hindurchrauscht, wenn man in gerade mal fünfeinhalb Stunden von Peking nach Shanghai fährt (die Züge schaffen 300 km/h und mehr), sind so uniform und gigantomanisch, dass sie nichts als den Eindruck gottlosen Horrors verströmen. Wer aussteigt, muss sich hart gewappnet haben.
Wenn man sich vor diesem optischen Hintergrund den zögerlichen Berliner Wohnungsbau vor Augen führt, bricht man in Tränen der Rührung aus. Bei der Landung hatte ich den Eindruck: was für ein beschauliches, flaches, verkehrsberuhigtes Großdorf Berlin doch ist.

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Der Science-Fiction-Film – Absicht, Botschaft und Wirkung

Fortsetzung vom 19. April 2024

Die New Yorker Kritikerin, Erzählern und Filmemacherin Susan Sontag (1933-2004) hat in ihrem Essay „Die Katastrophenfantasie“ („The Imagination Of Disaster“, Oktober 1965) das Science-Fiction-Genre vor allem in seiner filmischen Spielart untersucht – und offensichtlich nicht geschätzt (obwohl sie das nicht offen ausspricht). Dieser Auszug aus einer der sachlicheren Passagen ihres Textes, entstand einige Jahre bevor sich das „Disaster Movie“ für kurze Zeit zu einem lukrativen Massenphänomen mausern sollte und – selbstredend – lange vor dem Siegeszug der CGI:

In Science-Fiction-Filmen geht es nicht um Naturwissenschaft. Es geht in ihnen um die Katastrophe und damit um eines der ältesten Themen in der Kunst. Im Science-Fiction-Film wird die Katastrophe nicht intensiv, sondern stets extensiv erlebt. Hier geht es um Originalität und Einfallsreichtum. Das Ganze ist, wenn man so will, eine Frage des Maßstabs. Der Maßstab aber – und das gilt ganz besonders für die farbigen Breitwandfilme (unter denen die des japanischen Regisseurs Inoshiru Honda und des [österreichisch-ungarischen] Amerikaners George Pal die technisch überzeugendsten und visuell faszinierendsten sind) – hebt die Angelegenheit auf eine neue Ebene.
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Die Männerwirtschaft aus der Baker Street

betr.: gestriger 59. Jahrestag der Erstausstrahlung von „The Disappearance Of Lady Frances Carfax“ aus der Serie „Sherlock Holmes“ (GB 1965-68)

In der zweiten Hälfte der 60er Jahre reihte sich Peter Cushing in die schon damals beträchtliche Riege der Sherlock-Holmes-Darsteller ein. Cushing war ein fähiger Schauspieler, den die Heutigen vermutlich allein wegen seines Auftritts im ersten Beitrag zur „Star Wars“-Saga vor Augen haben und dessen wichtigster Job es gewesen ist, zum Ensemble der Hammer-Horrorfilme gehört zu haben, wo er sowohl verrückte Wissenschaftler als auch respektable Gelehrte spielte. Cushing verkörpert das Bild, das wir uns im Laufe der Zeit von Sherlock Holmes gemacht haben (ohne dass das so in den Büchern gestanden haben muss), in idealtypischer Weise: hager, auf uncharmante Weise einnehmend, nicht mehr ganz jung.
Immer wieder weichen die Holmes-Performer in einzelnen Punkten von diesen Vorgaben ab, ohne sie insgesamt in Frage zu stellen (Benedict Cumberbatch ist jünger als die meisten, dafür aber ein kompletter Soziopath). Mehr als bei jeder anderen literarischen Figur beruht unser Bild von ihr auf einer medialen Quersumme, die in der Regel ausgebildet ist, bevor wir erstmalig einen der Romane in die Hand nehmen und uns selbst eine Figur ausdenken können.

Wir wissen eine Menge über Mr. Holmes, kennen (ungewöhnlicherweise) sogar seine Postadresse und seinen Mitbewohner, haben aber keine Ahnung, warum die beiden Herren eigentlich zusammenwohnen. Ist es alte Verbundenheit (etwa aus dem Studium oder dem gemeinsamen Militärdienst)? Ist es schlicht der gemeinsame Arbeitsplatz (Detektivbüro), an den sich die Privaträume anschließen (als Arrangement, das sich verselbständigt hat)? Ist es gar eine homosexuelle Beziehung (die über den körperlichen Vollzug mittlerweile hinaus ist)? Ist Dr. Watson so etwas wie der Pfleger von Holmes (an dessen Drogenabhängigkeit er allerdings nichts mehr ändern kann)?
Das alles mag etwas für sich haben, aber die Lebensgemeinschaft in der Baker Street 221B ist zuallererst eine ordinäre WG. Aus Kostengründen. Holmes und Watson sind zu zweit dort eingezogen, wie es in „Eine Studie in Scharlachrot“ beschrieben wird, weil sich einer allein die Wohnung nicht leisten konnte. Und vor dieser Vereinbarung sind beide einander auch nicht begegnet. Sie fanden aus dem selben Grund zusammen wie Felix und Oscar, die berühmteste „Männerwirtschaft“ der Theater-, Film und Fernsehgeschichte nach Sherlock Holmes und Dr. Watson.

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Die begnadete Nervensäge

betr.: 101. Geburtstag von Jack Laird

Jack Laird war der Mann, den man Rod Serling vor die Nase setzte, als dieser die Früchte seiner Arbeit – der legendären TV-Serie “The Twilight Zone” (1959-64) – genießen wollte, indem er eine weitere, noch glanzvollere Serie schuf – “Rod Serling’s Night Gallery”, die heute vergessen ist.*
Der Sender NBC und das produzierende Studio übertrugen Jack Laird, einem Vertrags-Producer der Universal, die redaktionelle Verantwortung dafür, also das letzte Wort in allen künstlerischen Entscheidungen. So ein Arrangement musste einen verdienten Showrunner und genialen Visionär wie Serling wahnsinnig machen. In den drei Staffeln, über die sich “Night Gallery” hinschleppte, entfremdeten sich der Autor und seine Serie restlos voneinander, und sie blieb die letzte Arbeit vor seinem frühen Tod. Beide Männer sind am Scheitern ihres Produktes jedoch unschuldig, und viel spricht dafür, dass es – vor allem die zweite Staffel ist bemerkenswert – ohne Jack Laird nicht so vielgestaltig und überraschend geraten wäre.

Tom Wright portraitierte Jack Laird auf seinem Ausstellungsstück zur Folge 18 der 2. Staffel „Quoth The Raven“.

Jack Laird legte Wert darauf, das Kind eines Schauspielerpaares zu sein, das ihn auf Gastspielreise in Bombay zur Welt gebracht habe. In Wahrheit stammte er aus einer kalifornischen Kleinstadt. Er war kulturell universal-interessiert und gründete in seiner Schulzeit, obwohl er selbst kein Instrument spielte, eine Jazzband. Sie existierte, bis er in den Zweiten Weltkrieg ziehen musste, seine Musiker verteilten sich auf renommierte Bands.
Nach Kriegsende versuchte Laird es als Schauspieler, brachte es aber hauptsächlich zu diversen Hörspiel-Rollen. Er begann erfolgreich, für das junge Medium Fernsehen zu schreiben. In der Verantwortung die ihm dort übertragen wurde, förderte er junge Darsteller und Regisseure (wie Sydney Pollack) und gab Schauspielunterricht.

Mit der Krankenhausserie “Ben Casey” (1961-66) wurde Laird in der Branche endgültig zum großen Namen. Sein Erfolg ließ ihn zu einen Workoholic mutieren, der zudem zuwenig schlief, zuviel rauchte und sich schlecht ernährte. Parallel dazu ging seine einst sehr glückliche Ehe mit der Schauspielerin Peggy Johnson zu Bruch. Laird verantwortete auch den Hit “Kojak”.

Ähnlich tragisch wie das Schicksal Rod Serlings und das ihrer gemeinsamen Arbeit, war auch das Ende von Jack Laird. Er, dessen Engagement, kreative Phantasie und Professionalität von so vielen seiner Weggefährten geschätzt und gepriesen wurde, verkam zum Zyniker und Menschenfeind, ein Alkoholproblem gesellte sich dazu. Er wurde zum arbeitslosen Einsiedler. Als im Dezember 1991 sein Herz versagte, war er auf dem Weg ins Krankenhaus. Da er seinen Ausweis nicht mitgenommen hatte, verblieb seine anonyme Leiche für Wochen in der dortigen Leichenhalle. Endlich wurde er von seiner längst entfremdeten Tochter identifiziert, die von seinen Nachbarn alarmiert worden war, ihr Vater Mr. Laird sei verschwunden.

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* Zu unrecht, wie sich das gehört. Siehe https://blog.montyarnold.com/2020/04/28/class-of-99/

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Lampenfieber

Lampenfieber war nie ein Problem für mich. Das mag damit zusammenhängen, dass ich mich von meinem ersten Auftritt an viel sicherer vor dem Publikum fühlte als ich es sonst im Leben tat. Und das wiederum hatte neben vielen Gründen den sehr einleuchtenden, dass ich damals noch nicht aus der Pubertät heraus war.
Dazu passt das fachliche Gerücht, das Lampenfieber nähme mit zunehmendem Alter eher zu als dass es durch die wachsende Erfahrung abnähme. Ich werde es persönlich wohl nicht mehr nachprüfen können.
Solcherlei ging mit durch den Kopf, als ich in einem „Zeit“-Interview las, dass auch die Schauspielerin Corinna Harfouch nicht von „Bühnenangst“ geplagt sei: „Aber ich muss vor jeder Vorstellung durch ein Nadelöhr – einen Widerstand von Unmut und Erschöpfung. Man fragt sich, warum muss ich das jetzt machen? Ich bin dann todmüde und will nicht und werde nicht und kann auch nicht! Aber dann geht man raus, und alles ist klar. Die Bühne gibt einem so viele Geschenke, da entsteht ein Leuchten, ein Glückserlebnis, das nirgendwo anders möglich ist. Ich habe mal gehört, dass Marianne Hoppe in ihren letzten Lebensjahren zu jeder Probe von zu Hause abgeholt werden musste. Sie klammerte sich an der Haustür fest und weigerte sich, ins Theater zu kommen. Dann stand sie auf der Bühne – und alles war gut.“

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Die schönsten Filme, die ich kenne (121): „They’ll Love Me When I’m Dead“

betr.: 109. Geburtstag von Orson Welles

Im November 2018 präsentierte der Streaming-Anbieter Netflix seinem Publikum ein Prestige-Produkt, das kaum einem seiner Abonnenten etwas gesagt haben dürfte: „The Other Side Of The Wind“. Es ist der letzte der so vielen unvollendet gebliebenen Filme des genialen Orson Welles, einer Hollywood-Legende alter Schule.

Die Hauptrolle in diesem para-autobiographischen Werk spielt der große Filmregisseur John Huston – eine weitere Symbolfigur des analogen Anti-Netflix-Entertainments. Seit 1975 hatte der chaotische und stets unter Geldmangel leidende Welles an diesem Projekt gearbeitet. Nachdem ihn ein spanischer Zwischenhändler betrogen hatte, war sein Finanzier ausgerechnet eine Firma gewesen, die einem Schwager des Schahs von Persien gehörte. Der fast fertige Film fiel nach der Machtergreifung des Ajatollah in Staatsbesitz und verschwand in einem Tresor in Paris. Welles starb 1985, nachdem er bis zuletzt versucht hatte, eine Freigabe zu erwirken. Danach kämpfte seine letzte Geliebte Oja Kodar weiter. 

Nun ist es Netflix, dem die Ehre zufällt, diesen Film mit seiner finanziellen Unterstützung endlich gerettet und herausgebracht zu haben. Doch nicht nur das! Netflix gab außerdem eine Dokumentation in Auftrag, die seine wechselvolle Entstehungsgeschichte erzählt, eine Vielzahl schillernder Zeitzeugen zu Wort kommen lässt und überdies viele Meter historischen Materials zusammengetragen hat – all das sollte bei einer Doku selbstverständlich sein, doch die Verhältnisse, sie sind bekanntlich längst nicht mehr so.
Nachdem die Welt fast 30 Jahre hat auf „The Other Side Of The Wind“ warten müssen, wird sie nun mit einem Double-Feature entschädigt, das für jeden sehenswert ist, den die Geschichte und die besonderen Gesetzmäßigkeiten Hollywoods – dieses für alle Zeiten untergegangenen Hollywood, in dem der stets unabhängige Orson Welles ein avantgardistischer Fremdkörper gewesen ist – interessieren. Überdies erweist sich Welles hier wie dort – in „The Other Side Of The Wind“ wie auch in Morgan Nevilles „They’ll Love Me When I’m Dead“ – als Vorläufer der heute so beliebten Form der Mockumentary. Wer die (für diesen Regisseur typische) Art bestaunt hat, über Jahre hinweg unchronologisch einzelne Szenen zu produzieren – immer, wenn gerade genug Geld und die benötigten Darsteller verfügbar sind – und diese später zusammenzufügen, der wird am Hauptfilm umso größeres Vergnügen haben. Und auch an „Othello“ (der 1952 auf die nämliche Art zustandekam und es tatsächlich auf die Leinwand geschafft hat). Und auch wen das alles nicht interessiert – wer einfach, sagen wir, Quentin Tarantino mag und sich noch nie gefragt hat, wie unsere Vorfahren wohl Filme gedreht und angeschaut haben – auch der wird sich vermutlich köstlich amüsieren!

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Wenn Comicfiguren in die Jahre kommen

betr.: 119. Geburtstag von Floyd Gottfredson

Es liegt in der Natur der Sache, dass wir Kinder der 70er Jahre nicht wussten, wer unsere Walt-Disney-Comicheftchen zeichnete: oben stand ja immer „Walt Disney’s“ drüber. Es mag tatsächlich Idioten gegeben haben, die glaubten, „Onkel Walt“ zeichne jeden einzelnen Comic selbst. Fest steht: Walt Disney hätte es sehr gefallen, wenn es diese Idioten gegeben hätte …

Die Namen der meisten Disney-Künstler erfuhr ich erst nach und nach ab Mitte der 80er Jahre. Viele kamen kamen aus Italien, wo die Inhalte der „Lustigen Taschenbücher“ entstanden. Ich las in einem Artikel der „Sprechblase“, wie beinharte Fans hinter die Identität des wichtigsten DonaldDuck-Zeichners und -Autors Carl Barks gekommen waren, und auch Gottfredsons Enthüllung im Jahre 1968 war nicht vom Verlag gewünscht. Gottfredson hatte – als eine Art Gegenpart zu Barks und einige Jahre früher – den Comics mit Micky Maus Gestalt verliehen, die als fortlaufende Zeitungs-Strips über Monate hinweg lange Geschichten erzählten. Dem deutschen Publikum wurde dieses Repertoire großformatigen Sammelbänden präsentiert, die den Namen des Zeichners verschwiegen.

Der Gottfredson-Schwung der abenteuerlichen Gründerzeit, wie er 1973 in „Ich, Micky Maus“ Band 1 abgedruckt war.

Gottfredson war es auch gewesen, der auf die Idee gekommen war, Micky als Detektiv arbeiten zu lassen (wenn ihm seine Weltreisen etwas Zeit dafür ließen bzw. wenn irgendwo außerhalb Entenhausens ein Unrecht geschah). Er tat das über so viele Jahre (von 1930 bis 1975), dass sich sein Stil bis zur Unkenntlichkeit veränderte. Die in unserer Fernsehzeitung abgedruckten einseitigen Geschichten, auf die sich Gottfredson ab 1956 zurückzog, waren nicht nur inhaltlich denkbar weit von den historischen Strips entfernt, ich wäre auch nie auf die Idee gekommen, dass sie vom selben Zeichner stammten.
(Carl Barks hingegen hat seinen Strich über Jahrzehnte kaum verändert.)

Der bürgerlich gewordene Mäuserich in der „Bild + Funk“ (irgendwann in den 70er Jahren).

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