Der korrekte Klang des Klatsches

betr.: Sprechen am Mikrofon / Lesen vom Blatt

Der folgende kurze, in sich abgeschlossene Auszug aus dem ersten Kapitel des „Miss Marple“-Krimis „Mord im Spiegel“ von Agatha Christie enthält eine Textpassage, an der sich die Wichtigkeit von Schauplatz und sozialer Situation für den richtigen Vortragsgestus veranschaulichen lässt.

Bei einem Ausflug in die Neubausiedlung im Ort belauscht Miss Marple die Unterhaltung eines Pärchens. Der kleine Monolog, den sie der jungen Frau anschließend zuraunt, muss auf eine ganz bestimmte Art gestaltet werden, um überhaupt einen Sinn zu ergeben: eilfertig – also ohne Pausen (schließlich ist der Mann, vor dem gewarnt wird, fast in Hörweite), wohlüberlegt (Miss Marple hatte mehrere Minuten Zeit, sich die Worte zurechtzulegen), diskret und mit leicht schlechtem Gewissen, auf Punkt und Ende, denn eine Antwort ist nicht erwünscht und wird gar nicht abgewartet.
Damit kommen wir zu der Textgattung, mit der wir es hier zu tun haben: es ist – ungeachtet der guten Absicht, in der sie sich ereignet – Klatsch* (und Miss Marple ist sich der Delikatesse ihres Vorgehens durchaus bewusst). Im Erzähltext heißt es ganz treffend: „mit gedämpfter Stimme hastig“.

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Tierhaargespräche

geführt von Monty Arnold

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Die magische Wirkung des Magischen Realismus

Nach der Präsidentschaft von Donald Trump und der Etablierung solcher Begriffe wie „alternative Fakten“ hat der Begriff „magischer Realismus“ einen faden Beigeschmack bekommen. Er kann nichts dafür.
Recht eigentlich bezeichnet er eine (seit den 20er Jahren existierende, erst viel später so benannte) künstlerische Strömung, in der die Phantastik eine wichtige Rolle spielt. (Zu Literatur und Malerei sollten sich später Filmkunst und Fotografie sowie gesellschaftspolitische Bereiche hinzugesellen.)

Die beteiligten Autoren schrieben auf Spanisch, in ihrer lateinamerikanischen Heimat wird das Phänomen „el boom“ genannt (offiziell: „realismo mágico“). Mit ihm verlagerte sich der literarische Schwerpunkt des Subkontinents von der Dichtung auf den Roman und erlangte Weltgeltung. Seine offiziellen Hauptvertreter wurden zu PR-Agenten Lateinamerikas: Julio Cortázar (Argentinien), Carlos Fuentes (Mexiko), Garbriel Garcia Márquez (Kolumbien) und Mario Vargas Llosa (Peru). – Ich würde dieser Riege noch Jorge Luis Borges (wiederum Argentinien) hinzufügen, dessen besonders ausgeprägtes phantastisches Element für die Wortwahl „magisch“ wesentlich sein dürfte.

Wie der Feuilletonist Paul Ingendaay erläutert*, beflügelten sich die literarischen und die politischen Verhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg wechselseitig. Nachdem Fidel Castro und sein ewig junger (da früh verstorbener) Kamerad Che Guevara, sich mit der Eroberung Kubas zu Idolen des linken Lagers emporgekämpft hatten, trug der weltweite Siegeszug der lateinamerikanischen Literatur in den 60er Jahren dazu bei, Castros Kuba dauerhaft als Musterstaat zu etikettieren – auch als es längst zu einem gewöhnlichen kommunistischen Unterdrückungsapparat herabgesunken war, der – wie alle kommunistischen Systeme – von Mangelwirtschaft, Korruption und scharfen sozialen Ungleichheiten gezeichnet war, „der zähe Castro nur noch ein Greis im Trainingsanzug, dessen uralte Reden in der Parteizeitung ‚Granma‘ gedruckt wurden, so wie Billigsender im Nachtprogramm verstaubte B-Movies zeigen.“ Doch die Verklärung hatte sich verselbstständigt, das jesusgleiche Che-Logo wurde und wird von allen Lagern gleichermaßen verstanden.
Dabei hatte schon 1971 die Padilla-Affäre für eine erste Erschütterung dieses Bildes gesorgt, „die kriecherische, theatralische, vermutlich durch Folter bewirkte öffentliche Selbstbezichtigung des kubanischen Dichters Herberto Padilla vor dem Castro-Regime“, die kürzlich in einer Dokumentation aufgearbeitet wurde. Innerhalb intellektueller Zirkel kam es danach zu einer Spaltung quer durch die Welt der Geistesgrößen: „Die Castro-Anhänger verzogen sich in die eine Ecke, die Castro-Kritiker in die andere. Am Ende entzweite die Padilla-Affäre (…) auch die ehemaligen Freunde Vargas Llosa und Garcia Márquez“.
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* Frankfurter Allgemeine Quarterly 2/2024

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Tierhaargespräche

geführt von Monty Arnold

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Stolperfalle für Erstleser

betr.: Sprechen am Mikrofon / Lesen vom Blatt

Beim Erstlesen stolpern wir zuweilen über Textstellen, die uns als unglücklich erscheinen weil wir sie auf den ersten Blick für fehlerhaft halten können. In Wahrheit sind sie korrekt und lediglich missverständlich, da sie auf mehrere Arten lesbar sind, von denen aber nur eine im Textzusammenhang einen Sinn ergibt.
Nur beim Selberlesen können wir darüber stolpern. Würden sie uns korrekt vorgelesen, wären sie ganz unauffällig.

Ein Beispiel findet sich in einem Vorwort von W. Somerset Maugham.
Richtig ist die Betonung allein auf dem Adjektiv:

Ein Schriftsteller ist wahrscheinlich die letzte Person, die fähig ist, über das eigene Werk zu schreiben.

Danach rollt der Satz einfach seinem Ende entgegen, ohne Pausen und Melodie.
Als ich ihn las, verstand ich ihn falsch und betonte so:

Ein Schriftsteller ist wahrscheinlich die letzte Person, die fähig ist, über das eigene Werk zu schreiben.

Es bildete sich ein Sinnbogen, der vom Adjektiv bis zum Satzende reichte. Nun bedeutete der Satz nicht mehr: Ein Autor sollte das Schreiben über seinen Text besser anderen überlassen, sondern: Nach dem Autor eines Textes kann niemand mehr in Erscheinung treten, der etwas darüber schreibt.
Nicht auszudenken, wenn der Autor es so gemeint hätte …

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Ein Talk über Humor

Frisch von ihm ins Netz gestellt: mein Gespräch mit Christopher M. Peckham, das sich rasch auf das Thema „Comedy in Deutschland“ kaprizierte. Sonst geht es ein bisschen um das Kabarett der Kohl-Ära, die Arbeit fürs Fernsehen, das Tingeln durch die Provinz, um das Verglühen lieber Gewissheiten, nagelpinselnde Mädchen, die Wonnen des Ein- und Aussortierens und die herrlichen Zeiten im Hamburger Mojo Club der 90er. Gedroppt werden die Namen von Peter Sellers, Rich Little, Faisal Kawusi, Kara Ben Nemsi, Hildegard Knef, Valeska Gert, Thomas Gottschalk, Thomas Hermanns, Jacques Offenbach, Markus Lanz, Bodo Bach, Rainald Grebe, Hennes Bender, Bettina Böttinger, Torsten Sträter, Lisa Eckhart, Richard III., John Huston, The Beatles, George Martin, Jan Böhmermann, Dietmar Burdinski, Jens Wawrczeck, Helmut Hoffmann, Hubertus Meyer-Burckhardt, Florian Henckel von Donnersmarck, Barbara Schüssler, Orson Welles, Martin Schneider, Olli Dittrich, The Thunderbirds und viele andere mehr.

Zu erleben Bei allen gängigen Podcast Anbietern, zB. hier bei Spotify: https://open.spotify.com/episode/61UeMmekmsU7CQSg9nNAFu?si=ab683ca18d8c4b45

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Aus dem Schoß der Familie gekrochen

Siehe auch https://blog.montyarnold.com/2024/03/08/familiengrab-hoerbuch/

Was unterscheidet den Roman „The Rainbird Pattern“ von Victor Canning, der unter dem Titel „Auf der Spur“ bei uns herauskam, von Alfred Hitchcocks Verfilmung „Familiengrab“?

Die reiche Miss Rainbird, eine alte Jungfer, lässt nach ihrem verschollenen Neffen suchen, um ihn in seine Rechte einzusetzen. Das Kind war unmittelbar nach seiner Geburt aus Erwägungen des konservativen Klassendünkels verstoßen worden. Da sie die Indiskretionen eines Privatdetektivs fürchtet, betraut Miss Rainbird ein Medium namens Blanche Tyler mit der Suche, ein lebenskluges Vollweib, das sich von seinem Lover George Lumley und dessen Recherchen helfen lässt. Doch auch von sich aus verfügt Blanche über seherische Qualitäten (und versetzt uns – buchstäblich bis auf die letzten Seiten – immer wieder in Erstaunen). Es ist Miss Rainbird sehr wichtig, dass auch der Gesuchte selbst nichts von der Sache erfährt, ehe sie ihn in Augenschein nehmen kann. Es könnte sich ja schließlich um ein Individuum handeln, das die alte Dame lieber nicht beerben möchte.
Wir erfahren bald, dass ihre Sorge prophetisch ist. Nach dem jungen Mann, einem gewissen Edward Shoebridge, wird nämlich noch aus einem anderen Grund gefahndet. Er ist ein gerissener Kidnapper, den die Ermittler nur als den „Trader“ bezeichnen und der sich in zwei fehlerfreien Probeläufen für eine besonders spektakuläre Entführung warmläuft. Der Fall wurde an die Geheimpolizei übergeben, da die nach Lösegeldzahlung wieder freigekommenen Opfer aus höchsten Kreisen stammen und man die Erpressbarkeit des Staates nicht öffentlich machen will. Auch Ermittler Bush, der auf den Fall angesetzt wird, muss bei seinen Nachforschungen besonders diskret sein.
Als ein Erzbischof entführt wird, geht das Drama in die nächste Runde …

Der Film weicht deutlicher von der Vorlage ab als es an dieser kurzen Inhaltsangabe erkennbar ist. Weiterlesen

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Liebe Caren Miosga!

Ich werde die heutige Ausgabe Ihrer Sendung wahrscheinlich auslassen. Ich will das wohlige Vergnügen nicht vollends vertreiben, das seit Dienstag und der vorletzten Folge von „Maischberger“ noch in letzten leisen Spuren der Verzückung durch mein weltmüdes Gemüt prickelt wie ein Lufthauch am jüngsten Tag.

Als Gesicht der „Tagesthemen“ besetzten Sie immer einen besonderen Platz in meinem Herzen. Über den beschwerlichen Start auf Ihrem neuen prominenteren Sendeplatz ist schon viel Kritisches, Sachliches und Zutreffendes geschrieben worden. Von den kleinen Fehlern mit großer Wirkung, die uns (die wir im Fernsehsessel gut reden haben) stets sauer aufstoßen, stört mich persönlich dieser am meisten: Ihr in kurzen Intervallen einsetzender Impuls, den Gast einfach mal anzulächeln (um nicht so paternalisch rüberzukommen wie Frau Illner vom ZDF).
Warum auch nicht? Dieser im Privatgespräch sehr hübsche Gestus-Baustein muss auch in seiner politischen Diskussion nicht unbedingt schlecht sein.
Es kommt drauf an, wer lächelt und wie. Bei Anne Will verpuffte das regelmäßige sinnlose Grinserchen völlig, seit klar war, dass es der ohnehin erkenntnisfreien Unterhaltung keinen Schaden zufügen konnte. Bei Ihnen, Frau Miosga, hat es einen elenden Effekt: es wird (besonders von den bisher zum Gespräch begrüßten Unionspolitikern) immer dankbar aufgefangen und mit verschwiemeltem Mitgekicher beantwortet. Ein wirkliches Nachbohren oder Konfrontieren ist unmöglich, sobald dieses Bällchen erst einmal in der Luft ist. Ich würde lieber etwas gestreng wirken als es den Gästen so leicht zu machen.
Natürlich wissen Sie das längst (sowas lässt sich nicht so leicht abstellen wie es im Fernsehsessel aussieht) und ihre Redaktion weiß es auch. Und wenn Sie die Sendung anschließend gemeinsam analysieren, ist es sicherlich das größte alle gleichermaßen heimsuchende Ärgernis, davon bin ich überzeugt!

Als jemand, der sich freuen würde, wenn es am Sonntagabend eine aktuelle politische Sendung gäbe, die ich nicht versäumen will (und der diese gern in Ihren Händen wüsste), bitte ich Sie: lassen Sie doch die Analyse der heutigen Ausgabe einfach liegen, und sehen Sie sich stattdessen eine Folge „Maischberger“ an! Ich empfehle die vom letzten Dienstag. Weiterlesen

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Wo die Bananen blühn

Scheint es nur mir so, oder gleichen Altkanzler Gerhard Schröder und Uralt-Skandalfilmer Oliver Stone einander zum Verwechseln? Die F.A.Z. vom heutigen Tage alltestiert auch dem Zweiteren ein gutes Verhältnis zu selbsternannten lupenreinen Demokraten. Kalauer? Ich kann doch nichts dafür!

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Schludrigkeiten um ein Kleinod

betr.: die 18. Folge der Hörbuchreihe „Hitch und ich“ ist da!

„Family Plot“ ist kein unbeliebter Film, dennoch wird er nicht fair behandelt. Übergeht man ihn einmal nicht als Nebenwerk, wird ihm verübelt, den alten Hollywood-Glamour von „Marnie“ oder „Vertigo“ vermissen zu lassen (je nachdem, was gerade so als Meisterwerk offiziell im Kurs steht). Seit klar ist, dass dies Hitchcocks letzter Film bleiben würde, hat sich die abfällige Einordnung verselbstständigt. Ein so fähiger Filmhistoriker wie Frank Noack führt „Family Plot“ allen Ernstes als einen Beleg für seine These an, dass die meisten klassischen Filmregisseure zum Ende hin nichts Gescheites mehr zuwege gebracht haben.
Wer sich dieses alterslose Spätwerk tatsächlich anschaut, könnte den Eindruck gewinnen, dass solche Vorbehalte gern voneinander abgeschrieben werden.

John Russell Taylors Hitchcock-Biographie vertut sich auf amüsantere Weise, wenn sie im Register den (nach gemeinsamen Projekten gerechnet) Lieblingsschauspieler des Meisters, John Williams mit dem Komponisten gleichen Namens verwechselt. Zweiterer hatte die Ehre, die Filmmusik für „Family Plot“ zu schreiben, würdige Coda für ein Lebenswerk. John Williams, der Musiker, befand sich zu dieser Zeit auf der Höhe seiner Kunst. In den frühen 70er Jahren hatte er den Sound für das damals so beliebte Genre des Katastrophenfilms ausdefiniert und war in diesem Zusammenhang auch Steven Spielberg und dem „weißen Hai“ begegnet. In Abenteuerfilmen, Romanzen und jazzigen Komödien hatte er sich außerdem bewährt. Für Hitchcock bündelte er nun all sein Können und schrieb einen Score, der in seiner verspielten Frechheit an Ron Goodwins „Miss Marple“ erinnert und der souverän illustriert, was auch Hitchcocks Arbeit auszeichnet: die Verbindung und Witz und Nervenkitzel. Im folgenden Jahr sollte sich Williams‘ Schicksal erfüllen: er schrieb die Musik für „Star Wars“, den heute meistgespielten Soundtrack, und besiegelte damit seinen gegenwärtigen Ruf, der „größte Filmkomponist aller Zeiten“ zu sein. Wir sehen: die Fehlurteile nehmen kein Ende.

Näheres zum Vergleich von Roman und Verfilmung folgt.

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