Die wiedergefundene Textstelle: Eine Vampyr-Reportage

betr.: 96. Jahrestag der Berliner Uraufführung von „Nosferatu“

Der Stummfilm „Nosferatu“ durfte aus rechtlichen Gründen noch nicht „Dracula“ heißen. Dies ist eines der Ereignisse, die die zugrundeliegende Erzählung „Dracula“ von Bram Stoker inspiriert hatten.
Joseph Pitton de Tournefort (1656-1708), Botaniker von Ludwig XIV. von Frankreich, wurde 1700 in die Länder um das östliche Mittelmeer geschickt, um dort Pflanzen für den königlichen Garten zu sammeln. Auf der Insel Mykonos wurde er Zeuge einer Vampir-Hysterie. Seine Aufzeichnungen schonen weder den Klerus noch die örtlichen Dienstleister, und auch der Untote kriegt sein Fett weg.

Wir sahen auf der Insel, bey Gelegenheit eines solchen Todten, von dem man glaubt, daß er nach seinem Begräbniß wiederkäme, einen sehr verschiedenen und ziemlich traurigen Auftritt. Derjenige, dessen Geschichte ich jetzt erzählen will, war ein Bauer von Mycone, ein von Natur aus verdrüßlicher und zänkischer Mensch. Derselbe wurde auf dem Felde, ohne daß man wußte von wem, oder wie, getödtet. Zween Tage darauf, nachdem man ihn in einer Capelle der Stadt begraben hatte, breitete sich das Gerüchte aus, man sähe ihn des Nachts mit großen Schritten herumgehen, er komme in die Häuser und werfe das Geräthe hin und her, lösche die Lichter aus, umhalse die Leute von hinten her, und mache tausend kurzweilige Possen.Anfangs lachte man darüber. Allein die Sache wurde bald ernsthafter, nachdem sich die rechtschaffenen Leute darüber zu beklagen anfiengen. Die Geistlichen behaupteten selbst die Nichtigkeit der Sache, wozu sie ihren guten Grund haben mochten. Man ließ sogleich Messen lesen. Indessen fuhr der Bauer immer fort, seine Händel zu treiben, ohne sich zu bessern. Nach verschiedenen Versammlungen der Vornehmsten der Stadt, der Priester und der Religiosen, wurde beschlossen, daß nach einem gewißen, mir unbekannten Gebrauch, die neun Tage nach der Beerdigung abgewartet werden müßten.
Am zehnten Tage wurde in der nemlichen Capelle, wo der Leichnam lag, eine Messe gelesen, um den Daemon zu vertreiben, der sich, wie man glaubte, hinein versteckt hatte. Dieser Leichnam wurde nach der Messe ausgegraben, und man hielt es für Pflicht, ihm das Herz heraus zu reißen. Ein ziemlich alter und sehr ungeschickter Fleischer der Stadt machte den Anfang damit, daß er statt der Brust den Bauch öffnete. Er wühlte lange Zeit in den Eingeweiden herum, ohne dasjenige zu finden, was er suchte. Endlich sagte einer zu ihm, daß er das Zwergfell durchstechen müßte. Das Herz wurde zur Verwunderung aller Anwesenden herausgerissen.
Indessen gab der Leichnam einen so üblen Geruch von sich, daß man sich genötiget sah, ein Rauchwerk anzuzünden. Allein da sich der Rauch mit den Ausdünstungen dieses Körpers vermengte, wurde dadurch der Gestank nur desto stärker, und fieng an, diesen armen Leuten das Hirn warm zu machen. Ihre, von diesem Spectackel gerührte Einbildungskraft, erfüllte sich mit Erscheinungen.

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Eine Antwort zu Die wiedergefundene Textstelle: Eine Vampyr-Reportage

  1. richwoman sagt:

    Danke, ich werde stöbern. 🙂 0 likes

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