Im Spiegeluniversum

betr.: Don Rosas Auftritt auf GERMAN COMIC CON BERLIN

Don Rosa ist der typische Vertreter einer Berufsgruppe, die sich in der mehr als hundertjährigen Geschichte der Comics zwangsläufig herausbilden musste: ein Stellvertreter.

Bereits mit dem frühen Tod von Elzie Segar – dem Erfinder von „Popeye“, der 1938 mit nur 44 Jahren starb und ohne Stilbruch durch seinen Schüler Bud Sagendorf ersetzt wurde – gehört es zu den Tugenden der Comic-Kunst, ein Werk nacherfinden zu können, ohne den Leser durch Experimente oder Alleingänge zu irritieren. Im Laufe der Zeit wurde dies ebenso wichtig wie die Fähigkeit, eine Figur selbst zu erschaffen.
Als jüngstes Beispiel für diese Entwicklung dürfen Jean-Yves Ferri und Didier Conrad gelten, denen der hochbetagte Uderzo mit ihrem zweiten Album „Der Papyrus des Cäsar“ offiziell seinen Asterix übergeben hat. Und selbstverständlich stand die Wahrung des Looks hier im Vordergrund.

Die frankobelgische Comic-Produktion ist seit jeher auf zwei Zeichenstilen aufgebaut. Der eine, die sogenannte Ligne claire, wurde von Hergé (Georges Remi) etabliert und ab den 30er Jahren von dessen „Tintin“ in die Welt hinausgetragen. Obwohl „Tim und Struppi“ nach dem Tode Hergés nicht mehr in neuen Comics auftreten dürfen, ist die klare Linie weiterhin in den Produkten von dessen Schülern und Verehrern lebendig: zum Verwechseln ähnlich bei Bob de Moor, als drollige Parodie bei Joost Swarte, um nur zwei zu nennen.
Hergés großer Konkrurrent Jijé (Joseph Gillain) stand im Gegenteil für eine immense Verspieltheit, die von den amerikanischen Comic Strips gelernt hatte. Der von ihm begründete Stil ist so prägnant, dass er den Personalstil seiner Anhänger vielfach dominiert. (Man lege einmal „Die Schlümpfe“ von Peyo neben „Prudence Petitpas“ von Maréchal oder „Boule et Bill“ von Roba.) André Franquin hat dieser Kultur mit „Gaston“ und „Spirou und Fantasio“, in deren Serie auch das „Marsupilami“ auftrat, zwei Klassiker geschenkt.
Diese beiden Stilrichtungen, die jeweils von einem eigenen Comicmagazin (re)präsentiert wurden, sind nach den Wohnorten ihrer Protagonisten benannt: die Brüsseler Schule nach Hergé und die Schule von Marcinelle nach Jijé.

Natürlich haben auch die amerikanischen Marvel Comics längst ihren Leitfaden, an dem sich die Künstler unserer Tage zu orientieren haben. John Buscema* hat ihn gefertigt, eine Spitzenkraft aus Stan Lees Tagen. Dennoch hat sich der heutige Marvel-Stil sicher ebenso sehr an Künstlern wie Frank Miller weitergeformt wie an dieser Quelle.

Wie sich das gehört, ist es Walt Disney, auf den die Tradition der Kreativität innerhalb klarer Vorgaben letztlich zurückgeht – was uns zurück zu Don Rosa bringt.
Bei Disney lag dieses Vorgehen von Anfang des Erfolges an in der Natur der Sache. Walt Disney, der nicht ganz zu recht als Erfinder einer Unzahl von Disney-Figuren gilt, war kein sehr ambitionierter Zeichner, doch er lernte früh und auf die harte Tour, wie wichtig Urheberrechte sind. Die Namen seiner Zeichner in den Comic-Strips wurden nicht genannt (die der Animatoren in den späteren Trickfilmen schon), denn die völlig aberwitzige Illusion, dass „Uncle Walt“ alles selber zeichnet, war zumindest ein hübscher Mythos für das Gemüt der jungen Leserschaft.
Aber wer waren tatsächlich die vielen Zeichner? Dieses Geheimnis blieb noch bestehen, als das Disney-Figurenpersonal längst zu einem zentralen Stück Popkultur wurde, auf das sich ganz selbstverständlich – und zur allgemeinen Erheiterung – bezogen wurde. Der verstorbene „Titanic“-Künstler Bernd Pfarr präsentierte in seiner Serie „Dulle“ einen fetten muffigen Enterich, dessen Mitbürger Hundenasen tragen – wie die meisten Entenhausener und die Figuren des daran angelehnten Rolf Kauka-Universums. Dulles fauler Angestellter Kapuste ist einem säumigen Schuldner Onkel Dagoberts aus den Barks-Comics nachempfunden. Sein Name ist der Übersetzung von Erika Fuchs entlehnt.

Erst in den 80er Jahren – lange nach Disneys Tod – wurden die Zeichner im großen Stil aus dem Fankreis heraus recherchiert und in der Fachpresse publik gemacht. (Mittlerweile werden sie in den Mickymausheften regulär genannt.) Als die Identität des größten Autors und Stilisten unter ihnen nicht mehr vom Konzern geheimgehalten werden konnte – die von Carl Barks, dem Erfinder von Onkel Dagobert und dem Geldspeicher, dem Erbauer Entenhausens – nahmen es die Disneys sportlich und verdienen seither Unsummen mit der Herausgabe immer neuer Carl-Barks-Editionen. Dadurch hat sich auch die Ausgangsposition der Zeichner geändert. Inzwischen genügt es nicht mehr, Donald Duck & Co. zu interpretieren, wie es vor allem die italienische Produktion in den „Lustigen Taschenbüchern“ auf teilweise sehr hohem Niveau getan hat. Es ist ein immer wichtigeres Qualitätskriterium, Barks möglichst ähnlich zu sehen. Don Rosa hat sich wie ein untadeliger Buchhalter in die Details dieses Vorbildes hineingearbeitet, hat dessen Vorliebe für exotische Schauplätze und abenteuerliche Reisen übernommen und sogar Fortsetzungen großer Geschichten nachgelegt, z.B. zu „Im Land der viereckigen Eier“. Trotzdem kommt er zum intellektuell-anarchischen Witz des Originals niemals hinauf. Einige der italienischen Kollegen – vor allem Bottaro möchte ich hier nennen – kommen mit ihren Arbeiten trotz größerer Freiheiten viel eher in die Nähe des Urvaters.
Der von 1987 bis 2006 für Entenhausen tätige Don Rosa hat (zumindest in Europa) von allen heute lebenden Disney-Comiczeichnern das beste Marketing und die größte Fangemeinde. Er hält sich selbst für und verkauft sich als einen der zwei großen „Duck Men“ – neben Carl Barks. Diese menschlich nachvollziehbare Eitelkeit als Faktum in einen Artikel zu übernehmen, wie in der SZ geschehen**, ist allerdings haarsträubend und wäre in der F.A.Z. undenkbar. Selbst auf dem Gebiet der technischen Imitation des Striches von Carl Barks, auf die er sich so viel zugute hält, hat Don Rosa in William van Horn längst seinen Meister gefunden. Ich mußte dreimal hinsehen, bis ich beim Durchblättern eines aktuellen Heftes bemerkte, dass ich etwas Zeitgenössisches in Händen hielt.

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* „How To Draw Comics The Marvel Way“ von Stan Lee und John Buscema. Zur Arbeit dieses Zeichners siehe auch den Blog vom 1. Oktober 2016 – https://blog.montyarnold.com/2016/10/01/aquarius-prinz-namor-der-held-von-atlantis-die-deutsche-chronologie-von-marvels-sub-mariner/
** Don Rosa im Gespräch mit Christoph Haas, SZ Feuilleton vom 8. Juni 2015.

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