Broadway’s Like That (14): Der erste Welterfolg

4. Jerome Kern – Erfinder des Musicals (1) (Fortsetzung vom 18. Juni)


„Ol’ Man River“
– die schwarzen Baumwollstauer beklagen die Hoffnungslosigkeit ihres harten Lebens am Ufer des Mississippi, der gleichmütig, unbekümmert um menschliche Schicksale seinen Lauf nimmt. Dieser bekannte Song aus Jerome Kerns „Show Boat“ war in einer Aufnahme aus dem Jahr 1928 zu hören – mit Paul Robeson als Solist und dem Orchester von Paul Whiteman. Das merkwürdige Arrangement dieser Aufnahme, das auf Gershwins „Rhapsody In Blue“ und Antonin Dvoráks 9. Symphonie „Aus der Neuen Welt“ anspielt, mag aus der selben Haltung heraus entstanden sein, die Paul Whiteman etwa bei Gershwin ein Jazz-Konzert bestellen ließ – die spätere „Rhapsody In Blue“. Überhaupt müssen die Beziehungen zwischen populärer Musik – bzw. dem, was damals „Jazz“ hieß – und „seriöser Musik“ Mitte der 20er Jahre ein Gegenstand öffentlicher Diskussion gewesen sein.

Obwohl auch Jerome Kern in seiner Musik Anleihen bei der Musik der Schwarzen machte – er soll darin sogar einer der ersten Broadway-Komponisten gewesen sein – schien er doch ein distanziertes Verhältnis zum Jazz zu haben. Als er 1924 sein Musical „Sitting Pretty“ herausbrachte, entschloß er sich einer ungewöhnlichen Maßnahme: er verbot, dass Musik aus dem Stück außerhalb des Theaters öffentlich gespielt wurde. Dieses Verbot begründete er in einer Attacke gegen die „betrügerische Imitation“, die statt „echter Musik“ seiner Meinung nach von Unterhaltungsorchestern und Rundfunk verbreitet wurde. Er beklagt sich:

„Außer im Theater kommt heute nichts von unserer Musik so beim Publikum an, wie wir es geschrieben haben. Sie wird von Jazz-Orchestern so entstellt, dass sie fast nicht wiederzuerkennen ist. Es sollte einem Komponisten möglich sein, seine Partitur so zu schützen wie ein Schriftsteller sein Manuskript. Kein Schriftsteller würde Raubdrucke seines Werkes erlauben, in denen Satzbau und Interpunktion verändert wurden, wodurch seinem Werk eine Bedeutung gegeben würde, die sich vollständig von dem unterscheidet, was er im Sinn hatte!“

Offensichtlich tat sich Kern schwer mit Arrangements seiner Musik, die womöglich noch Raum ließen für Jazz-Improvisationen. Dafür war er dann wohl doch zu sehr Komponist. Allerdings – so legt es Kerns Biograph Gerald Bordman nahe – hätte dieses Verhalten auch ein ausgefuchster Werbetrick für „Sitting Pretty“ sein können.

Jerome Kern – geboren 1885 – war als Musiker ausgebildet worden, in New York und in Deutschland. Zunächst hatte er freilich den Widerstand seines Vaters zu überwinden, der ihn lieber als Geschäftsmann gesehen hätte. Nachdem der junge Kern, der beim Großhändler zwei Klaviere für das väterliche Geschäft hatte besorgen sollen, mit zweihundert Klavieren anrückte, stand dem Musikstudium nichts mehr im Wege.

Nach ersten Erfahrungen im Londoner Musiktheater, war Kern am Broadway vor allem mit interpolierten Songs vertreten, bevor er als Komponist der Princess Theatre Musicals dem Amerikanischen musikalischen Unterhaltungstheater neue Impulse gab. (Die Princess Theatre Musicals stehen in dem legendären Ruf, dem Musical erstmals eine eigene, vor allem eine eigenständig amerikanische Gestalt gegeben zu haben.) Judy Garland setzte dieser Ära ein Denkmal in einer rauschenden Revuenummer in einem ihrer späten Filme „A Star Is Born“. Hier singt sie: „I was born in a trunk in a Princess Theatre“. Die Szene orientiert sich in ihrem stilistischen Reichtum offensichtlich am „Broadway Ballet“ aus „Singin’ In The Rain“ – und wurde ihrerseits in „Springtime For Hitler“ parodiert. Judy Garland singt eine Reihe von Songklassikern verschiedener Komponisten, darunter „Swanee“, den ersten Hit für George Gershwin.

Forts. folgt

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