Das unerbittliche Kinderauge

betr.: 23. Todestag von Jack Kirby* (Jacob Kurtzberg)

Cover13-1
Titelseite / Variante 1 der noch ausstehenden 13. Ausgabe des Fan-Magazins „Das sagte Nuff“**. Gerhard Schlegel colorierte hierfür eine Startseite aus „Journey Into Mystery“ #72 vom September 1961 von Jack Kirby. (siehe unten)

Als die Arbeiten von Jack Kirby und seinen Kollegen im Januar 1974 zum ersten Mal systematisch auf den deutschen Markt kamen, ging der Williams Verlag auch ein gewisses Risiko ein. Die Marvel Comics waren im BSV-Verlag schon zuvor in Erscheinung getreten. Da dies sehr ungeordnet geschenen war – ein Problem, dem der neue Verlag nun abhelfen wollte – hatte das jugendliche Publikum Comics zu lesen bekommen, bei denen sich Autor / Chefredakteur Stan Lee und Zeichner Jack Kirby auf ihrer absoluten schöpferischen Höhe befanden. Mit den neuen bei Nr. 1 beginnenden insgesamt sieben Marvel-Superheldentiteln, darunter die Entstehungsgeschichten des „Hulk“ und der „Spinne“ („Spider-Man“), kam es nun zu einem kleinen Kulturschock. „Der Eiserne“ („Iron Man“) sah noch aus wie ein (immerhin vergoldeter) Altglascontainer, und das Ding von den „Fantastischen Vier“ erinnerte an einen aufrecht gehenden Maulwurfshaufen. Einige der Heftchenleser hatten kein Auge für die Größe des historischen Augenblicks und beschwerten sich beim Verlag.
Da Williams auf seinen Leserbriefseiten nicht nur Lob abdruckte (eine weitere wagemutige Neuerung), können wir uns die Problematik quasi aus erster Hand erläutern lassen.

Liebe Redaktion!
Ich habe eine starke Beschwerde! Die deutschen „Fantastischen Vier“ sind eigentlich ganz gut, aber wer die zeichnet – dieser Jack Kirby malt einfach grauenhaft! Sokrickelig und schmierig. Da waren die HIT-Comics vom BSV-Verlag tausendmal besser! Darum möchte ich doch bitten, dass wieder der berühmte John Buscema zeichnet. „Der Dämon“, gemalt von John Romita, ist einfach klasse! Darum lese ich den „Dämon“ lieber als die „Fantastischen Vier“.
Ihr treuer Michael Vaupel aus Radevormwald

An die Marvel-Redaktion!
Ich habe an diesem Brief c. a. eine Stunde gearbeitet und finde meine Kritik gerechtfertigt. Die Farbgebung in den Marvel-Comics ist ganz toll, aber sonst hinken die Marvel-Comics den HIT-Comics doch in einigen Sachen nach. Die Zeichnungen in den HIT-Comics sind bedeutend klarer und genauer. Damit will ich sagen, dass bei den Marvel-Comics oft schludrig gearbeitet wird. Z.B. Sue Storm in HIT-Comics und Marvel-Comics. Die Zeichnungen haben keine Ähnlichkeit miteinander. Laßt wieder die Zeichner von den HIT-Comics ran.
Manfred Gippert aus Köln

Antwort des MMT:
Liebe Leute!
Statt einer Antwort der Redaktion zunächst der Brief eines Lesers, der uns zusammen mit den zwei vorherigen erreichte:

Leute!
Ihr in der Marvel-Redaktion tut mir wirklich leid! Was gibt es doch für, ehrlich gesagt, doofe Leser! Ich möchte wissen, wann endlich jeder Marvel-Leser kapiert, was bei Euch Tolles läuft! Immer wieder schreibt ein Leser, man sollte doch diesen und jenen Superhelden dies oder das machen lassen; in diesem und jenem HIT-Comic sind die Zeichnungen besser, man soll Geschichten von dem und dem Helden von anderen Zeichnern bringen. Ich sage stellvertretend für den Verlag:
Die Marvel-Redaktion bringt eine Wiederholung der amerikanischen Originalausgaben und kann nichts dafür, dass die Zeichner am Anfang noch nicht so perfekte Zeichnungen bringen könnten. Soll sie nach Amerika telefonieren und sagen: „Du, Jack, zeichne mal die Geschichte der „Fantastischen Vier“ Nr. soundsoviel nochmal! Die Leser wollen bessere Zeichnungen!“
Man merkt, dass solche Schreiber keine echten Marvel-Fans sind! Sonst würden sie aufhören, auf Euch rumzuhacken! Ich bin ein großer Comic-Fan und weiß, daß nicht alle Comic-Figuren im Anfangsstadium genauso ausgesehen haben wie heute, dass sie sich erst im Laufe der Zeit zu dem entwickelt haben, was sie heute sind. (…)
Euer Peter Seifert aus Mannheim

Cover13-2
Titelseite #13 / Variante 2 mit einer weiteren Farbversion von Daniel Gramsch. Daniel Wamslers Magazin erschien von 2005 bis 2010 und richtete sich an die Fans der Silver Age Marvels. Recherche, Aufmachung und Qualität seiner Artikel waren von der gleichen Qualität wie der von ihm geliebte Gegenstand.

Natürlich war man sich auch im New Yorker Marvel-Mutterhaus über diese Nebenwirkung der stilistischen Fortschritte im Klaren. Immer wieder kam es zu Rückblenden, in denen wichtige Schlachten oder die Origin Story eines Helden / Teams neu erzählt wurden. Mitunter geschah das sogar recht ausführlich***, und einmal machte sich Jack Kirby sogar über den ursprünglichen Look seiner Helden lustig (in vorletzten deutschen Ausgabe der „Fantastischen Vier“, bei der sogar das Cover ein Remake ist).
Solche Nostalgie half den nachwachsenden Lesern, sich zurechtzufinden und erhöhte den Sammlerwert der – vergleichsweise unbehauenen – Originale. Und sie kam auch dem letztlich unerfüllbaren Wunsch entgegen: „Du, Jack, zeichne mal die Geschichte neu!“

Nachwort:
Manche Fans klagten nicht nur nicht über den Lauf der Zeit, sie legten sogar selbst Hand an, um die Welt ein wenig hübscher zu machen. Als Beleg hierfür mögen die oben gezeigten Neucolorierungen dienen. (Ein Dankeschön an Daniel Wamsler für die Überlassung dieses unveröffentlichten Materials!)

GLOPFrühere Colorierung der betreffenden Eröffnungsseite im Sammelband „Monster Masterworks“ (1989), in dem Horrorgeschichten von Stan Lee aus der Vor- und Früh-Marvel-Ära versammelt sind.

ALL IMAGES AND CHARACTERS  TM & © MARVEL ENTERTAINMENT, LLC
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* Siehe dazu auch https://blog.montyarnold.com/2017/01/14/der-raum-ausstatter/
** Jederzeit zu bestellen unter www.williams-marvels.de und zu bestaunen unter https://www.marvelcomics-online.de/marvel-comics/sekundaerliteratur/das-sagte-nuff.html
*** Ein Beispiel hierfür ist das Comeback des „Aquarius“ in einem frühen Abenteuer der „Fantastischen Vier“. Siehe dazu die Abbildung im https://blog.montyarnold.com/2016/10/01/aquarius-prinz-namor-der-held-von-atlantis-die-deutsche-chronologie-von-marvels-sub-mariner/

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3 Antworten zu Das unerbittliche Kinderauge

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