Mr. Joplin und die Seinen

betr.: 100. Todestag von Scott Joplin

Scott Joplin spielte um die Jahrhundertwende in den Bordellen von New Orleans das Pianola. Er war, so wie achtzig Jahre später der Held von „Fleisch ist mein Gemüse“, ein „Mucker“. Da er noch nicht – wie der Romanheld und seine Band – das „Paulchen Panther“-Thema nachspielen konnte, komponierte er selbst und begründete eine Musikrichtung, ohne die es besagtes Paulchen-Thema gar nicht geben würde. Sie wurde zunächst Ragtime genannt und einige Jahre später als Urform einer viel größeren musikalischen Bewegung erkannt, welche – angeblich nach dem Jasminduft der käuflichen Damen an Joplins Arbeitsplatz – den Namen „Jazz“ erhielt.
Scott Joplin starb arm und verwirrt und zu früh, um zu erleben, was er da Grandioses angeschoben hatte. Sein jüngerer Kollege Jelly Roll Morton, die andere große Ragtime-Legende, hat es da etwas besser getroffen.
Ihre Musik kam in den 70er Jahren im Rahmen einer weltweiten Jazz-Nostalgiewelle wieder in Mode, die auch den Dixieland neu belebte. Seither haben Stücke wie Joplins „Entertainer“ und Ray Hendersons „Black Bottom Stomp“ Evergreen- bzw. Klingeltonstatus.

Entertainer_Theme
Black Bottom Stomp-ThemaDas ungebrochen populäre Thema des „Entertainer“ von Scott Joplin und die Refrainzeile des „Black Bottom Stomp“ in der zeitgenössischen Übersetzung.

Die Geschichte unserer Popkultur ist reich an schwarzer Kreativität, die sich für ihre Macher nicht ausgezahlt hat. Louis Armstrong war die erste und für lange Zeit einzige Ausnahme.
Als vor einigen Wochen der legendäre Rock’n’Roller Chuck Berry starb, wurde er als einer der wenigen schwarzen Pioniere des Rock gewürdigt, die nicht in Vergessenheit geraten sind. Die Nachkommen der amerikanischen Negersklaven machten vor hundert Jahren nicht nur die neueste Musik, sie entwickelten bis in die Zeit des Rock’n’Roll sämtliche neuen Gesellschaftstänze, so auch den wichtigsten Modetanz der 20er Jahre, den Charleston. Der Musiktitel dazu entstammte wie praktisch jeder Hit des Jazz-Age einer Broadway-Show, dem Musical „Runnin’ Wild“ (1923) von James P. Johnson. Dieser „Original Charleston“ hat seine Karriere als Instrumental gemacht. Chubby Checkers Aufnahme ist eine der wenigen, in denen auch der Text zu hören ist.

Dies ist der noch unbekanntere zeitgenössische deutsche Text, der in einer nunmehr grotesk anmutenden Weise immerhin die Urheberschaft des Tanzes richtig verortet. Vortragen kann man davon heute nur noch die letzte Strophe, aber sowas kommt in den besten Familien bzw. Nationalhymnen vor.

Original Charleston DTrm

Der „Original Charleston“ von Cecil Mack und Jimmy Johnson hat ein besonderes Kunststück vollbracht: er blieb bis zuletzt der wichtigste Beitrag zu seinem Genre, bis alle übrigen vergessen waren. Wer heute im musikalischen Kontext „Charleston“ sagt, der meint damit immer diesen „Original Charleston“ – so wie mit „der Bolero“ stets der von Ravel und mit „Barcarole“ fast immer die von Offenbach gemeint ist.

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