Die wiedergefundene Textstelle: Morbus Americanus

betr.: 50. Todestag von John Steinbeck 

In jenen historischen Dokumenten, die uns auf den ersten Blick schockieren, weil sie schon vor langer Zeit den heutigen jammervollen Zustand auf den Punkt brachten, liegt auch etwas Tröstliches: wenn alles schon immer so finster und aussichtslos war, dass der nächste Schritt den Sturz in den Abgrund bedeuten musste, kann es heute nicht ganz so schlimm sein. Schließlich leben wir ja noch.

Im Herbst 1960 bricht der Schriftsteller John Steinbeck zu einer großen Reise auf. In einem zum Wohnmobil umgebauten Kleinlaster wird er elf Wochen lang die USA umrunden – gegen den Uhrzeigersinn, so als wollte er die Zeit zurückdrehen – um sein Land neu zu erfahren. Mit allen Sinnen – also nicht nur mit Augen und Nase, sondern auch mit den Ohren. Steinbeck hatte viel Alkohol an Bord, um seine Landsleute unterwegs zu zahllosen Schwätzchen einladen zu können, er besuchte mit Vorliebe Autobahnraststätten, Diners und Kirchen.
Nach seiner Expedition und während der Niederschrift seines Reiseberichts, der zu einem seiner beliebtesten Bücher werden sollte, dem Roman „Meine Reise mit Charley“, schrieb Steinbeck seinem Verleger:

Ich zerbreche mir den Kopf, wie ich diesen Verfall beschreiben soll. Es stürzt ja nichts ein oder fliegt krachend in die Luft. Es rottet einfach alles vor sich hin, erschöpft und antriebslos. Auf meinen Reisen habe ich wenig Armut gesehen – ich rede von der schrecklichen Armut der 30er Jahre. Die war wenigstens real und greifbar. Was ist aber gesehen habe, war eine Art von Krankheit. Man hat Wünsche, aber es gibt nichts, was man wirklich will. Unter dieser Oberfläche bilden sich Gase wie in einem Leichnam. Ich wage nicht, mir vorzustellen, was geschieht, wenn diese Gase eines Tages explodieren.

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