Geschichte des Komiker-Handwerks (38)

Fortsetzung vom 16.8.2020

Zurück in den Alltag – Der Good Humor in der „New Comedy“

Mitte der 70er Jahre schwang das Pendel wieder in die andere Richtung – und zwar so deutlich, dass „Newsweek“ eine „Konterrevolution“ der Branche am Werk sah. Es schlug die Stunde der „Good Humor Comedians“, was im Amerikanischen eine herrliche Doppelbedeutung hat, die leider nicht übersetzbar ist: „Good Humor“ bedeutet dort „gute Laune“, könnte aber auch als „guter (netter, feiner …) Humor“ gelesen werden.

In der Comedy beschrieb „Good Humor“ eine Abkehr von tagespolitischen Themen zugunsten des reinen Nonsens. (In der Bundesrepublik vollzog sich – wenn auch aus anderen Gründen – ein solcher Wandel Anfang der 90er Jahre, als der Comedy-Begriff sich durchsetzte und das Kabarett als volkstümliche Humorsparte in den Medien abgelöst wurde.)
In den USA war die zweite Hälfte der 70er Jahre politisch hochbewegt: die Proteste gegen den Vietnamkrieg dauerten an, und mit Richard Nixon dankte erstmals ein Präsident ab, um der Amtsenthebung zuvorzukommen.
Da wollten viele Comedians nicht auch noch auf der Bühne demokratische Frustration verbreiten und wandten sich (wieder) der Burleske zu. Der „Wild-And-Crazy Guy“ Steve Martin, der ohnehin in dieser Sparte zuhause und nun eine Art Vorreiter war, freute sich: „Für mich ist der bare Nonsens die Wurzel des Humors. (…) Als ich Anfang der 70er meinen Durchbruch hatte, hatte jeder nur Politik im Kopf. Ich betrachtete es als meine Aufgabe, diese von dort zu vertreiben und habe sie immer aus meinem Programm herausgehalten. Und ich glaube, das hat meinen Erfolg ausgemacht. Ich habe nicht rummoralisiert, war nicht rechts oder links, ich war einfach ein menschliches Wesen.“

Doch auch Nonsens ist ein solides Handwerk, und ein solches entsteht nicht automatisch, wenn man etwas anderes weglässt. Nicht jeder war so gut für diese Disziplin gerüstet wie Steve Martin, Lily Tomlin, Robert Klein oder Richard Pryor. Und so hielt in jenen Tagen etwas Einzug beim Fußvolk der Comedy, was uns bis heute geblieben ist: die vorgebliche Selbstreflexion. Der Comedian denkt auf der Bühne über seinen Platz in der Gesellschaft nach und plaudert über seinen Alltag: also über die selben Parkplatzsorgen, Steuer-Ärgernisse, gekränkten sexuellen Erwartungen, Verschleißwehwehchen und Probleme in der Beziehung, die das Publikum da unten auch hat. (Mit anderen Worten: über langweiliges Zeug.) Das hat für den Künstler den Vorteil, dass er nicht recherchieren, nicht einmal die Nachrichten verfolgen oder Bücher lesen muss. Er braucht keine persönliche Haltung. Und er kann jederzeit für sich in Anspruch nehmen, nicht abgehoben zu sein und das Publikum „abzuholen“.
Selbstverständlich kann so etwas auf überaus spitzfindige Art und Weise geschehen und in wirkliche Satire münden. In der Praxis bedeutet es jedoch zumeist einfach nur faules Arbeiten und eben nicht den Eskapismus, an den Steve Martin stellvertretend gedacht hat, sondern ein Steckenbleiben im Alltagsmief. Das Publikum begann in jenen Tagen, sich an solche Nachlässigkeiten seiner Helden zu gewöhnen und seine Ansprüche allmählich herunterzuschrauben.*
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* Dieses Phänomen ist nicht auf die Comedy beschränkt, es hat sich zu verschiedenen Zeiten und in abweichendem Tempo praktisch in sämtlichen Unterhaltungssparten vollzogen. Der Universal-Entertainer Alfred Hitchcock sprach in den 70er Jahren abfällig von „Kitchen Sink Movies“.

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