John Williams: Kamelle vom Edelkonditor

betr.: 89. Geburtstag von John Williams

John Williams hat mit „Family Plot“ einen meiner Lieblings-Soundtracks komponiert. Und doch macht mich die Art der Anerkennung traurig, die er heute genießt.
Williams wird nicht etwa für seine Qualitäten als Komponist oder Dirigent verehrt. Unabhängig davon fußt sein Ruhm vor allem auf zwei Dingen: auf seiner physischen Langlebigkeit (der eine Fortsetzung bei bester Gesundheit beschieden sein möge!) und auf seiner langjährigen Geschäftsfreundschaft mit George Lucas (nebst Nachfolgern) und Steven Spielberg, den beiden kommerziell erfolgreichsten Filmemachern der Jahrtausendwende. Dass er das spätromantische Idiom seiner frühen Jahre bis heute passabel heraufbeschwört, gibt seinen Fans das gute Gefühl, kulturell auf der richtigen Seite zu stehen. John Williams ist ihr „klassisches“ Feigenblatt. Er ist der eine Musikus, von dem sie solcherlei zur Abwechslung ganz gerne geboten bekommen – wenn auch als Kolportage.

Seit „Superman“ (1978) – ein Jahr nach dem ersten „Krieg der Sterne“ – beschränkt sich Williams zunehmend auf das Komponieren kurzer jubilierender Klettermotive, die er von unnötig dick besetzten Streicher- und Holzbläsergruppen weitgehend unisono spielen lässt. Miklós Rózsa – der auf dem Gebiet der Filmmusik einst ähnlich bedeutend war, der aber heute niemanden mehr interessiert, weil er schon zulange unter der Erde liegt – hat ein entsprechendes Aufgebot einmal mit dem Hinweis ausgeschlagen, dass 40 Geigen exakt genauso klingen wie 80, wenn sie alle dasselbe spielen.

Als John Williams seine ersten Filmpartituren schrieb, waren Rósza und all die anderen großen Spätromantiker noch im Dienst. Daneben gab es Modernisierer wie Henry Mancini oder Lalo Schifrin. Es waren sinfonische Jazzer wie Elmer Bernstein und Alex North am Werk. Und es gab den restlos unvergleichlichen Bernard Herrmann, der heute selbst von denen Ton für Ton zitiert wird, die seine Musik nur aus den vorangegangenen Ton-für-Ton-Zitaten kennen.

In den frühen und mittleren 70er Jahren wurde John Williams zu einem der Gediegensten, die der Arbeit der Altmeister einen frischeren Sound entgegensetzten. Auf dem Gebiet des actionreichen „Blockbuster“-Kinos, das in jenen Jahren erstmals so bezeichnet wurde – wenn auch nicht so leichtfertig wie heute -, waren die damals unerhört beliebten Katstrophenfilme seine Spezialität, deren Musik stets der Urmutter des modernen Disaster-Movie-Soundtracks folgte: „Airport“ (1969), mit dem der sterbende Alfred Newman noch einen neuen Weg aufgezeigt hatte. Williams‘ Filmmusik-Alben „Poseidon Adventure“ (mit dem grandiosen Titelsong „The Morning After“), „Towering Inferno“ und „Earthquake“ haben heute Sammlerwert. Sogar eine CD-Box, die diese Titel vereint, kostet ein kleines Vermögen. Aber auch seine übrigen Soundtracks aus dieser Zeit sind elegant und mitreißend, und sie alle verfügen über etwas, was seine heutigen Bombasterien vermissen lassen: signifikante Themen und fantasievolle Arrangements, die auch bei kleinerer Besetzung funktionieren.

Der Williams-Sound der 70er ist gemeinsam mit den Filmen aus dem Blickfeld gerutscht – abgesehen natürlich von „Jaws“, der Begleitmusik zum Grundstein der Spielberg-Verehrung – und zumindest für den Komponisten ist das auch gut so. Im Vergleich würden die Nachlässigkeiten seines Spätwerks offensichtlich.
Doch noch etwas kommt John Williams zugute.
Ein altes Sprichwort sagt: dass der Fuchs als klug gilt, liegt daran, dass man ihm die Schlichtheit der Hühner als persönliches Verdienst anrechnet.
John Williams profitiert immens davon, dass der prominenteste lebende Filmkomponist neben ihm Hans Zimmer heißt.

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